WARUM ITALIENER IN ITALIEN IMMER DEUTSCH REDEN
: Wagner auf Zimmerlautstärke

VON MIGUEL SZYMANSKI

Letzte Woche habe ich angefangen, meinen Töchtern das erste Abenteuer der „Fünf Freunde“, Enid Blytons Klassiker, aus einem schönen Buch mit blauem Einband vorzulesen. Nach wenigen Seiten fühlte ich mich betrogen. Aus dem britischen „tea and scones“ des Originals wurde in der deutschen Übersetzung „Kaffee und Kuchen“. Die britische Institution des rituellen Tees am späten Nachmittag prägt mein Leben seit der Kindheit. Ich lese die Geschichte korrigiert vor: wenn irgendwo Kaffee steht, sage ich Tee. Die kleinen Abenteurer in den Geschichten Blytons leben in England, nicht in Oggersheim. Es gibt keinen Grund, sie gegen ihren Willen einzubürgern. Oder doch?

Pedro Almodóvars Frauen in einer Wohnung in Madrid, Simone Signoret hinter der Bartheke in Paris, John Wayne oder Sean Connery reden lupenreines Deutsch auf der Leinwand. Besonders grotesk sind deutsche TV-Schmonzetten. Wenn Deutsche darin ins Ausland reisen, versuchen die Einheimischen erst drei Sätze in der Landessprache, um ins Gespräch zu kommen. Und wenn die Deutschen wie immer nichts verstehen, wechseln Italiener, Inder, Südafrikaner wie selbstverständlich in die Weltsprache Deutsch.

Kein Wunder, dass die meisten Deutschen glauben, überall in der Welt müssten sie so denken, handeln, fühlen wie in ihrem eigenen Land. Kein Wunder, dass Frau Merkel der Welt ihre Haushaltsphilosophie missionarisch aufdrängt. Sie hält weltweit die Flagge der schwäbischen Hausfrau hoch, die gebückt ihre Arbeit, Mahlzeiten und sonstige Funktionen verrichtet und die monetäre Differenz in einer Spardose verschwinden lässt. Warum sind nicht alle so wie die hiesigen Saubermänner und Sauberfrauen? „Weltanschauung“ ist eines der wenigen deutschen Wörter, das international im Umlauf ist (sorry to tell you: „Mercedes“ ist nur ein südeuropäischer Mädchenname). Ich habe mich oft gefragt, warum sich das Wort durchsetzen konnte. Bei anderen internationalen deutschen Ausdrücken wie „Schadenfreude“, „Blitz“ oder „über“ kann ich es noch nachvollziehen. Nach meinen 18 Monaten Deutschlandaufenthalt kristallisiert sich aus gesammelten Erfahrungswerten eine Vermutung zur internationalen Karriere der „Weltanschauung“ heraus: Egal wohin Deutschland schaut, es sieht verzerrte Versionen seiner selbst.

Es sieht das, was geändert werden müsste, damit das Weltbild und die Selbstwahrnehmung wieder stimmen. „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ von Lissabon bis Athen, dann ist die Welt in Ordnung. Ordnung muss schließlich sein. Nicht irgendeine: Deutsche Ordnung sollte es schon sein. Wagner ja, aber ab 20 Uhr bitte auf Zimmerlautstärke.

Sich in andere hineinzuversetzen, ist für die meisten meiner Mitbürger der falsche Ansatz. Einfacher ist es, den anderen die eigene Weltanschauung wie einen orangefarbenen Overall überzustülpen.

P. S: Zu meinen eigenen Charakterschwächen: Dem germanischen Blutrecht nach bin ich Deutscher. Deswegen bei künftiger Hasspost nicht wieder Versionen von „Geh doch zurück in dein Land“ schreiben. Besser: „Nestbeschmutzer“, „Suppenspucker“. Besonders gern auch: „verdammter Europäer“.