ortstermin: siegmund jähn, der erste deutsche im all, spricht
: Ein Held wider Willen

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Irgendwann musste die Frage kommen. Sie kommt immer. Die Frage, „was das für ein Gefühl ist, im Weltraum zu sein“. Und was das „mit einem macht“. Tausendmal hat Sigmund Jähn sie gehört. Tausendmal beantwortet. Auch an diesem Abend, vergangenen Freitag im Hamburger Planetarium. Da sprach der 70-Jährige über die „Deutschen Beiträge zur bemannten Raumfahrt“. Und beantwortete anschließend die Fragen von rund 270 Weltraumfreunden.

Einer dieser Beiträge ist Jähn selbst: Am 26. August 1978 setzte er sich mit dem Russen Waleri Bykowski in die Rakete „Sojus-31“ und ließ sich 400 Kilometer hoch in den Himmel schießen. Fast acht Tage verbrachte er in der Raumstation „Saljut-6“, bevor er wieder auf die Erde fiel. Ja, fiel: Die Rückkehrkapsel „Sojus-29“ hatte einen defekten Fallschirm.

Gestartet war Jähn als NVA-Offizier, Jagdflieger und Wissenschaftler. Zurück kam er als „der erste Deutsche im All“. Prompt erhielt er die Auszeichnungen „Held der Sowjetunion“ und „Held der DDR“. Schulen und Freizeitzentren wurden nach ihm benannt, da war er noch keine 45. Das ganze Land war wie trunken vor Freude und Stolz.

Jähn mochte den ganzen Rummel um seine Person noch nie. Und er mag ihn auch heute nicht. Ihm selbst sei es rätselhaft, sagt er, weshalb man ihn damals für die Mission ausgewählt habe. So als habe das gar nichts mit seiner Person zu tun: „Ich habe einfach Glück gehabt.“ Gut möglich, dass „Bescheidenheit“ ein Auswahlkriterium war.

Diese Bescheidenheit hat er gepflegt in den letzten 29 Jahren. Sicher auch, um dem Starkult um die eigene Person entgegenzuwirken. Jähn ist nicht der Typ, der sich hinstellt und sagt: „Seht her, hier bin ich!“ Wenn er etwa von seiner Kosmonauten-Ausbildung im „Sternenstädtchen“ bei Moskau erzählt, kommt er ohne Floskeln aus. Vielmehr scheint er authentische Bilder abzurufen und verpackt sie in sorgsam formulierte Sätze. Manchmal stockt er da für einen Moment, bevor er weiterredet. Die Regeln telegenen Plapperns sind ihm offensichtlich egal. Jähn quasselt nicht, er spricht. Detailliert erzählt der promovierte Physiker die Geschichte der Rakete als Träger für Raumflüge. Anschaulich berichtet er von den Kräften, denen ein Körper beim Raketenstart oder in der Schwerelosigkeit ausgesetzt ist. Und nachdrücklich spricht er sich für eine friedliche und internationale Erforschung des Alls aus.

Als er nach dem Vortrag doch nochb mal den Helden geben muss, nimmt er das gelassen. Gut drei Dutzend der Anwesenden haben um ein Autogramm gebeten und so lotst man den Kosmonauten in eine kleine Nische im Foyer. Zwischen Museumsstücken der Raumfahrt sitzt er hier an einem kleinen Tisch und schreibt geduldig seinen Namen auf Karten und Fotos. Für Christoph. Für Annalena.

Auf die Frage, wie der Raumflug sein Leben verändert habe, hat sich Jähn dann doch eine Antwort zurechtgelegt: Ja, vieles habe sich verändert, vor allem habe er jede Menge Aufgaben hinzugewonnen, sagt er. Und meint die Pflichten des Helden, eben ständig auf solche Fragen antworten zu müssen. Ein höflicher Affront an den Fragesteller. Objektiv gesehen, fügt Jähn hinzu, solle man sich keinen Illusionen hingeben. Ja, aus dem All betrachtet sei die Erde überwältigend schön. Ja, Grenzen und Kriege kämen einem ad hoc überflüssig vor. Aber: „Wenn man George Bush in den Weltraum schießt“, sagt der einstige Held der DDR, „kommt er sicher nicht als Schaf zurück.“ MATHIAS BECKER