Die letzte kritische Stimme

Der Chef des somalischen Senders Radio Shabelle wurde erschossen. Journalisten glauben an ein politisches Motiv

Bashir Nur Gedi war auf dem Weg von einem Café nach Hause, als unbekannte Männer ihm auf offener Straße auflauerten und ihn mit Pistolenschüssen niederstreckten. Der Chef von Radio Shabelle, einem der beliebtesten Radiosender Somalias, war sofort tot. Seine drei Frauen und zehn Kinder standen am Samstag unter hunderten Trauernden, die der Beerdigung vor den Toren Mogadischus beiwohnten. Unter ihnen waren auch viele Hörer, die der kritischen Stimme ihre letzte Ehre erweisen wollten.

Zwar herrschen in Somalia und besonders in Mogadischu seit der Flucht des Diktators Siad Barre vor 16 Jahren Willkür und Rechtlosigkeit, doch Bashir Nur Gedi, die Stimme unabhängiger Medien, haben weder die Warlords mit ihren Privatarmeen noch radikale Islamisten zum Schweigen bringen können. Die seit Ende Dezember mithilfe der äthiopischen Armee herrschende Übergangsregierung versucht derzeit allerdings mit allen Mitteln, Kritiker mundtot zu machen. Kollegen von Nur Gedi sprachen am Sonntag denn auch von einem politisch motivierten Auftragsmord.

„Dieser Mord soll eine Botschaft an alle kritischen Journalisten senden, dass ihr Leben aufgrund ihrer Tätigkeit bedroht ist“, warnte Omar Faruk Osman von der somalischen Journalistengewerkschaft. Reporter ohne Grenzen setzte nach: „Wenn diejenigen, die solche Taten verhindern könnten, nichts tun, werden sie zu Komplizen.“ Nur Gedi ist der achte Journalist, der seit Jahresanfang in Somalia getötet wurde. Der in Somalia schon immer gefährliche Job ist noch einmal schwieriger geworden, weil die Reporter zwischen den Fronten stehen – denn auch die im Untergrund kämpfenden Islamisten dulden längst keine Kritik mehr.

Besonders Radio Shabelle ist der Regierung ein Dorn im Auge, weil der von der EU und den USA finanziell unterstützte Sender bei Auslandskorrespondenten als Quelle geschätzt ist. Im Januar und Juni ließ die Übergangsregierung den Sender wegen seiner kritischen Berichterstattung schließen; im vergangenen Monat beschossen Regierungssoldaten das Funkhaus von Radio Shabelle, zwei Wochen lang herrschte Funkstille. Vergangene Woche belagerten Regierungstruppen den Sender, ohne dass der seine Sendungen einstellte. Und der Direktor der Shabelle-Mediengruppe kündigt selbst nach dem Tod Nur Gedis an, dass man sich nicht einschüchtern lassen werde: Nur bis zum Ende des Begräbnisses am Samstag blieb das Funkhaus geschlossen.

Einer der ersten Berichte machte denn auch die Unterdrückung von Journalisten zum Thema: In Puntland im Norden Somalias steht der beliebteste Radiosender still, seit Regierungstruppen drei Programmverantwortliche verhafteten. Der Chefredakteur saß am Sonntag noch in Haft, weil er einen kritischen Bericht über Somalias Geheimdienst auf Sendung gelassen hatte. Ein AFP-Fotograf wurde am Freitag festgenommen, als er Verletzte vor einem Krankenhaus in Mogadischu aufgenommen hatte. Und der Chef der Tageszeitung Ayamaaha wurde vom Geheimdienst in Gewahrsam genommen. In Somalia ist derzeit eine staatliche Einschüchterungskampagne ohnegleichen in vollem Gange. MARC ENGELHARDT, NAIROBI