Sparen statt Samba

BRASILIEN Entgegen ihren Wahlversprechen vollzieht Präsidentin Rousseff eine Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik. Die Rechte applaudiert, die Basis der Regierungspartei ist enttäuscht

RIO DE JANEIRO taz | Die brasilianischen Wirtschaftskommentatoren in der rechten Mainstreampresse wissen nicht mehr, wo sie ansetzen sollen: Jahrelang haben sie die Politik von Präsidentin Dilma Rousseff verteufelt und den ökonomischen Niedergang des Landes beschworen: „Zu viel Staat in der Wirtschaft“, so ihr Dauerurteil. Doch seit Rousseff nach der Wiederwahl im Oktober ihr neues Wirtschaftsteam vorstellte, fehlen ihnen die Argumente – und Brasilien die Perspektive.

Mit Joaquim Levy wurde nicht nur ein „Wunschkandidat des Marktes“ Finanzminister. Sein Team hat freie Hand, die Wirtschaftspolitik auf Kurs zu bringen, damit die Investoren ihr Vertrauen in die brasilianische Ökonomie zurückgewinnen. Prompt kündigte Levy ein Sparpaket an, mit Kürzungen von Sozialleistungen und empfindlichen Einschnitten im Haushalt. Etwa sechs Milliarden Euro sollen allein im Sozialbereich eingespart werden. In der Zeitung O Globo schreibt Kommentator Ilimar Franco: „Wozu brauchen wir da eine Opposition?“

Die Basis der regierenden Arbeiterpartei PT und die Gewerkschaften sind entsetzt. Plötzlich steht alles zur Disposition: die Schaffung von Arbeitsplätzen, ein akzeptabler Mindestlohn, Sozialpolitik und lenkende Eingriffe des Staates. Stattdessen soll das mickrige Wachstum mit Austeritätspolitik angekurbelt werden. Zu den Sparmaßnahmen kommen erhöhte Zinsen und Steuern, Subventionen werden eingestampft und die Wirtschaftsmächte entsprechend neoliberalem Dogma mehr sich selbst überlassen.

Fraglos ist die Wirtschaft des größten Landes Südamerikas angeschlagen. Höchstens 0,5 Prozent soll sie in diesem Jahr wachsen, die Inflation liegt bei über 6 Prozent und könnte 2015 sogar auf 8 Prozent klettern. Aber warum überhaupt schwächelt die Wirtschaft Brasiliens, die im ersten Jahrzehnt überdurchschnittlich boomte, seit 2011 so stark? Für die rechte Opposition und ihre Kommentatoren sind der starke Staat und das schwindende Vertrauen der Investoren schuld. Allerdings können sie nicht erklären, warum Brasilien zuvor unter Präsident Lula da Silva mit ähnlicher Wirtschaftspolitik so gut dastand.

Tatsächlich ist der Einbruch, ebenso wie zuvor der Boom, nicht ohne externe Faktoren zu erklären – etwa die in Folge der Finanzkrise weltweit sinkende Nachfrage nach brasilianischen Rohstoffen. Die PT-Regierung nutzte anfangs den Geldsegen, um erfolgreiche Sozialprogramme aufzubauen und mit einer expansiven Lohnpolitik und neuen Arbeitsplätzen die Inlandsnachfrage anzukurbeln. Aber sie versäumte es, den Boom für notwendige Reformen zu nutzen: „Als die Rohstoffpreise hoch waren, hätte die nationale Industrie gestärkt werden müssen, um die Abhängigkeit von Erzen und Agrarprodukten zu vermindern“, so der Wirtschaftswissenschaftler Carlos Drummont.

Diese Kurzsichtigkeit war nicht der einzige Fehler während Rousseffs erster Amtszeit. Zu lange subventionierte sie Haushaltsgeräte oder – ökologisch besonders fragwürdig – Neuwagen, obwohl die Nachfrage schon längst erschöpft war.

Dafür versäumte sie, mehr in Bildung zu investieren und das Steuersystem zu reformieren, das große Einkommen, Vermögen und Erbschaften nahezu unbehelligt lässt. Hier müsste die Präsidentin nach Ansicht ihrer eigenen Leute ansetzen: „Die Lösung unserer Probleme liegt gerade nicht in einer Rücknahme der antizyklischen Interventionen des Staates“, schreibt Drummont in der linksliberalen Wochenzeitung Carta Capital.

ANDREAS BEHN