die steile these
: Weint Gott beim Staubsaugen?

Ein Pianist hat Piano gespielt. Vorher aber hat er noch schnell sein Publikum zur Sau gemacht. Das Feuilleton dankt es ihm mit hymnischen Lobgesängen

Die kunstsinnigen Feingeister von der Süddeutschen Zeitung fühlten sich durch das Konzert in der Alten Oper zu Frankfurt auf wundersame Weise in den „fernen Himalaja“ versetzt, „denn irgendwie erinnert dieser feingliedrig zarte und doch so selbstbewusst und bestimmt auftretende Künstler an einen tibetischen Mönch, der die Ideale der vollkommenen Selbstvergessenheit und radikalen Versenkung praktiziert“.

Auch die feinsinnigen Kunstgeister von der Frankfurter Allgemeinen wähnten sich auf Reisen und wollen, „man verzeihe das Pathos“, eine Musik gehört haben, „schlackenlos und formvollendet, eben so ideal, wie Plato sie sich vorgestellt haben könnte“, aber nur in den „magischen Momenten“, von denen die Musikmönche beim Tagesspiegel in ihre Tasten raunten, „in solchen Momenten könnte Keith Jarrett selbst dem lieben Gott Tränen in die Augen getrieben haben“.

Dalai Lama, Plato, Gott – es war für die Feuilletons also nicht damit getan, sich vor dem Genie in den Staub zu werfen. Nein, man musste sich auch noch darin wälzen. Denn der Künstler hatte nicht nur Exempel seiner Virtuosität gegeben, sondern auch solche seiner Sensibilität.

Fünfmal hatte Keith Jarrett das Konzert unterbrochen, um störende Huster im Auditorium einzeln zurechtzuweisen oder gleich alle Gäste in toto davon zu unterrichten, dass man sich hier nicht in einer Hotelbar befinde, verdammt. Ob man da – so als Zuhörer – in den letzten 25 Jahren rein gar nichts gelernt hätte? Erst nach diesen Peitschenhieben verteilte der Großmeister gnädig sein viel gelobtes Zuckerbrot. Er hat’s ja auch nicht leicht. Früher genügte es noch, wenn Hausfrauen zum „Köln Concert“ staubsaugten; heute müssen gleich die Götter heulen.

Dabei kann das Publikum für wirklich große Künstler tatsächlich ein dauerräusperndes Monster sein, von dem man sich am liebsten abwenden möchte für alle Zeit. Wirklich große Künstler tun das dann auch einfach – und heißen Glenn Gould. FRA