Geht mehr spielen!

„Theater mobil“ heißt das vierte Projekt, das hannoversche Jugendliche ins Theater locken soll – dieses Mal liegt der Fokus immerhin auch auf Themen, die die Zielgruppe interessieren. Jugendliche inszenieren für Jugendliche selbstgeschriebene Stücke

Wenn die Realität so gar nicht einladend ist, flüchten Menschen in Traumwelten – in Form von Nickerchen, Schönreden und, wenn’s hoch kommt, Halluzinogenen. Eine Gruppe Jugendlicher entwickelte daraus im Rahmen des Projekts „Theater mobil“ mit der Regisseurin Tanja Krone ein Stück.

In „Fliegen lernen“ funktioniert die Welt in erster Linie so, wie sie sein sollte: Es gibt weder Geld noch Krieg und Arbeit für alle, die arbeiten wollen. Wünsche können beantragt werden, über ihre Erfüllung entscheidet die Gruppe.

Das Leben könnte so einfach sein. Dass es das nicht ist, zeigen die Lebensläufe der Darsteller, die zwischen 15 und 21 Jahren jung sind. Alle leben in betreuten Wohngemeinschaften der stationären Lebenshilfe des Stephansstifts, kommen aus schwierigen Familienverhältnissen oder sind Vollwaisen. Dass die Vergangenheit, selbst wenn die Weichen auf ein eigenverantwortliches, glückliches Leben in den therapeutischen Einrichtungen gestellt werden, sich nicht so schnell abschütteln lässt, darum geht es auch in „Fliegen lernen“.

Dort wird ein Antrag auf die Abschaffung der Vergangenheit gestellt. Andere fordern eine neue Vergangenheit, die guten Details solle man behalten. Oder kann man ohne Erfahrungsschatz nicht mehr derselbe Mensch sein?

Jugendthemen scheinen Tanja Krones Spezialgebiet zu sein. Nachdem sie Thomas Manns „Geschwister“ und das Jugenddrama „Fucking Amal“ am Schauspiel Hannover inszenierte, ging sie für „Fliegen lernen“ raus und suchte Orte, an denen Jugendliche zu finden sind.

Denn anders als die bewährten Hannoveraner Theaterprojekte „Jugend spielt für Jugend“ oder „freestyle“, die ihre Schauspieler aus Theater-AGs an Schulen rekrutieren, richtet sich „Theater mobil“ an Jugendliche, die bisher noch keinen Fuß auf eine Bühne gesetzt haben. Folglich ließen sich die jungen Schauspieler weder zu Brecht noch zu dem in Hannover so geliebten Lutz Hübner breitschlagen – wenn schon Theater, dann so, wie sie es sich vorstellen.

Andere Regisseure gingen, vielleicht mit der Hoffnung, doch noch ein paar Theater-AGisten zu finden, an Schulen und inszenieren in dieser Spielzeit die üblichen Geschichten von Liebeskummer, Gewalt und Fremdenhass – es entsteht der Eindruck, dass Tanja Krones Problemtruppe für solche Kinkerlitzchen keine Gedanken verschwenden wollte und sich gleich zu philosophischeren Themen aufmachte.

Sinn des Projektes es ist nicht nur, Jugendlichen Theaterspielen zu ermöglichen. „Theater mobil“ soll auch mehr junges Publikum ins Schauspielhaus, die Ballhöfe und die cumberlandsche Galerie ziehen. Wenn dort immerhin Schulkameraden und Themen von Belang vertreten sind, darf es auch mal zwei Stunden still sitzen sein. „Unser Publikum ist nicht das vielzitierte Publikum von morgen, es ist das Publikum von heute“, sagt die Leiterin des jungen Schauspiel Hannover Heidelinde Leutgöb. Deswegen habe es auch ein Anrecht auf eigenständige und anspruchsvolle Stücke.

Dass sich die Themen der ersten Spielzeit von „Theater mobil“ um jugendliche Themen drehen, war schließlich auch Teil der Aufgabenstellung. Vorgaben gab es von Seiten der Regisseure kaum, die Jugendlichen sollten selbst Ideen einbringen und Stücke erarbeiten.

In Heidelinde Leutgöbs eigenem Projekt ergab sich daraus die Inszenierung eines Henning-Mankell-Romans. „Der gewissenslose Mörder Hasse Karlsson enthüllt die entsetzliche Wahrheit, wie die Frau über der Eisenbahnbrücke zu Tode gekommen ist“ handelt von den unterdrückten Aggressionen eines 13-Jährigen, der aus Langeweile Steine von Brücken auf Autobahnen fallen lässt.

Für „Heimat im Kopf“ hingegen stellte der Regisseur Nurkan Erpulat jungen Türken zwischen 15 und 25 die Frage „Was ist für dich Heimat?“ Das Ergebnis darf man sich als Gemisch aus Biographien, Märchen und Mythen aus beiden Kulturen vorstellen.

Eher fragwürdig scheint das Konzept von „Friends“. Schüler aus der sechsten und siebten Klasse improvisieren bis zu drei Stunden lang zum Thema „Vertrauen“. Die Ideen ziehen sie aus ihrem eigenen Alltag. Das Vertrauen wird hier wohl eher in das Durchhaltevermögen des elterlichen Publikums gelegt.

Es wird eine spannende Spielzeit, voller Debüts. Dass „Theater mobil“ funktioniert, zeigt sich an den insgesamt sechs entstandenen Inszenierungen. Ob die selbstgeschriebenen Stücke sich jedoch gegen die harte Konkurrenz der Profis durchsetzen können, wird wohl spätestens das nächste „Jugend spielt für Jugend“ Treffen zeigen. Vielleicht ist man dort aber auch ganz froh, ein Jahr mal nicht den Hahnenkampf „Gymnasium Lehrte vs. Bismarckschule“ oder besonders rebellische Inszenierungen vom „Frühlingserwachen“ oder den „Räubern“ ertragen zu müssen. Sondern Geschichten, die das Leben tatsächlich schrieb. JESSICA RICCÒ