So etwas entsteht aus Armut

Straßenhunde, „als kleine Reisegesellschaften konstituiert“ und sich „einer ungestörten und doch so störenden Existenz erfreuend“, sollen weichen. Roland Girtler tritt für sie ein

Sonntag, 22. Februar Solinachmittag der BerTA. Der Soli diesmal für aktuell inhaftierte Tierechtsaktivist_innen in Schweden und Russland. Ab 14 Uhr in der Schreina47 ■ Sonntag, 1. März Kundgebung gegen die „Versuchstier“-Transporte von Air France. 13 bis 15 Uhr, Flughafen Tegel ■ Freitag, 13. März Tierrechte und Autonomie für Tiere: „Der Hund und sein Philosoph“ von Martin Balluch. Lesung und Diskussion, 19 Uhr, Mehringhof

INTERVIEW STEPHAN THIEL
UND HELMUT HÖGE

Der „vagabundierende“ Kulturwissenschaftler Prof. Roland Girtler vom Institut für Soziologie der Universität Wien will die Ausrottung von Straßenhunden verhindern. taz: Sie haben das Leben von Wilderern, Gaunern, Kellnern, Tierärzten und Bauern erforscht, warum nun herrenlose Hunde in Rumänien?

Roland Girtler: Ich fahre jetzt schon seit 24 Jahren mit Studenten nach Siebenbürgen, um das Leben der letzten deutschen Bauern zu erforschen. Dort gibt es viele herrenlose Hunde. Die sind sehr vorsichtig, greifen nicht an, sondern verstecken sich meist im Wald. Anders sind da die Schäferhunde der Bauern, die die Schafe bewachen – die sind sehr aggressiv. Im November war ich mit einem Tierarzt in Temesvar, dort hat die Caritas einen Hof für Obdachlose – und denen laufen oft herrenlose Hunde zu. Das sind sehr soziale Tiere und die haben auch untereinander sehr komplexe Beziehungen. Das ist ein interessanter Kosmos. An sich sind die Leute da nicht sehr freundlich zu den Hunden. Es gibt natürlich auch blöde Studenten. Ich habe da zum Beispiel ein Stück Brot an einen Hund verfüttert, woraufhin ein Student mir vorgehalten hat, dass Brot sei für die armen Menschen.

Wie lange gibt es schon herrenlose Hunde in Rumänien – erst seit der Wende? Das ist schwer zu sagen. So etwas entsteht ja immer aus einer Kultur der Armut. Ich habe in Indien gelebt, dort gab es auch viele herrenlose Hunde. Auf mittelalterlichen Bildern findet man ebenfalls immer wieder streunende Hunde abgebildet. Schon bei Homer gibt es einen: Odysseus wird bei seiner bei Heimkehr von niemandem erkannt außer von seinem Hund Argos, der auf einem Misthaufen sitzt und ihn sofort identifiziert, sich freut, mit dem Schwanz wedelt – und stirbt.

Argos war aber kein herrenloser Hund …

Doch, Penelopes Freier hatten ihn vertrieben. Der Hund genoss erst bei den Bauern Ansehen, als diese zu Jägern wurden.

Anders bei den Aborigines, die leben zwar mit den Dingos zusammen, aber sie gehen getrennt auf Jagd …

Bei meinen Studien in Rumänien ist mir aufgefallen, dass die Hunde sich ihre Herrchen suchen, die sind sehr klug.

In Moskau werden die herrenlosen Hunde wissenschaftlich erforscht, man unterscheidet dort vier Gruppen – je nach ihrer Distanz zu den Menschen, wobei eine Gruppe so gut wie keine Distanz einhält, weil sie gelegentlich Bewachungsaufgaben übernimmt und dafür gefüttert wird. Einem Straßenhund, der getötet wurde, hat man dort ein Denkmal gesetzt.

Interessant, es gibt ja viele Hunde, die haben schlechte Erfahrungen mit den Menschen gemacht und meiden sie. Meine Tochter hat so einen herrenlosen Hund aus Moskau – und einen aus Bosnien, der ist ein Mischling und hat etwas Wölfisches. Den hat sie ausbilden lassen zum Therapiehund. Damit geht sie in Kinderheime und Krankenhäuser.

In Mexiko führt die Stadtverwaltung, nachdem auch dort ein Rudel herrenloser Hunde zwei Menschen getötet haben soll, Kastrationen durch. In vielen Ländern fängt man sie ein, um wissenschaftliche Experimente mit ihnen anzustellen. Ist das auch in Rumänien so?

Das weiß ich nicht, und wenn ich ehrlich bin, möchte ich das auch nicht wissen. Das ist so ehrlos.

In Berlin gibt es keine herrenlosen Hunde, aber 60.000 streunende Katzen. Wie ist das in Wien?

Das weiß ich nicht genau, aber das Problem ist, daß die Singvögel darunter zu leiden haben, Katzen sind da ja manchmal sehr grausam. Von streunenden Hunden ist mir nichts bekannt. Vielleicht sind da einige an der Donau. Ich werde mal nachschauen. Aber es gibt in Wien auch mehrere Tierheime und dann halten natürlich viele Wiener Hunde, besonders Gauner haben oftmals Hunde, ich kenne einen Zuhälter, der vier oder fünf Hunde hat.

Gibt es einen Unterschied zwischen Stadt und Land im Umgang mit den Hunden?

In Rumänien sind die Bauern richtig böse, wenn da ein Hund Nachwuchs bekommt, bringen sie ihn um. Viele wilde Tiere ziehen mittlerweile in die Stadt, weil dort die Menschen freundlicher zu ihnen sind. In Wien auch, dort wurden sogar schon Wildschweine gesehen. Auch Raben, die sich auf den Märkten rumtreiben. Ich habe die bei der Nahrungssuche beobachtet, die sind unheimlich geschickt. Die herrenlosen Hunde in den rumänischen Städten wissen sich aber auch gut zu helfen. Mehr werde ich im Juni herausfinden, wenn ich wieder hinfahre.Ungekürzte Fassung des Gesprächs: bewegung.taz.de