Der Springsteen des Ostens

KULT Am Sonnabend wäre Gerhard Gundermann 60 Jahre alt geworden. Diverse Musiker ehren den Lausitzer Rockpoeten und Baggerfahrer mit Tributliedern. Aber was war so besonders an dem Mann, dem auch heute noch viele die Treue halten – in Ost und West

■ 1967 als Zwölfjähriger mit seiner Mutter aus Weimar nach Hoyerswerda gezogen, wo er bald in einen Singeklub eintrat. Nach dem Rausschmiss aus der NVA-Offiziersschule Hilfsarbeiter, später Baggerfahrer im Lausitzer Braunkohletagebau.

■ SED-Mitglied, wurde 1979 fast und 1984 tatsächlich wegen Eigenwilligkeit ausgeschlossen. Aus demselben Grund endete seine IM-Tätigkeit für die Stasi.

■ Nach der Wende kandidierte er für das Aktionsbündnis „Vereinigte Linke“ zur Volkskammerwahl, unterstützte aber auch PDS und Grüne im Wahlkampf. Er wurde zum linken, umweltbewussten Esoteriker und beschrieb die soziale Erosion des Ostens in den Neunzigern in rauen poetischen Songs.

■ Starb 1997 nach einem Hirnschlag. Seit 1999 widmet sich der Verein Gundermanns Seilschaft e. V. der Pflege seines Erbes. (gl)

VON GUNNAR LEUE

„Linker Radikalist, kleinbürgerlicher Egoist, Karrierist, verfolgt terroristische Ziele“ – klingt interessant, was die Kreisparteikontrollkommission Spremberg da 1979 im SED-Ausschlussverfahren gegen den Genossen Gundermann vorbrachte. Selbst für DDR-Bürger ohne Parteibuch wäre das eine Menge Holz für einen hübschen Scheiterhaufen gewesen. Über so einen Menschen müsste eigentlich ein Film gemacht werden.

Wird ja auch. Der Regisseur Andreas Dresen hat ihn fest im Plan. Vorher spielt er aber erst mal ein paar Lieder von „Gundi“ mit seiner Gruppe, zu der auch der Schauspieler Axel Prahl gehört, am Sonnabend und Sonntag im Kesselhaus. Anlass ist der 60. Geburtstag des Musikers, der 1998 bereits mit 43 an einem Hirnschlag starb.

Bis auf seine Kinderjahre in Weimar hatte Gerhard Gundermann immer in der Lausitz gelebt und gearbeitet. Wobei gearbeitet „echtes Arbeiten“ meint, wie Gundermann selbst sagte, also körperlich. 1975 hatte er als Hilfsarbeiter im Braunkohletagebau Spreetal angefangen, ehe er sich zum Baggerfahrer qualifizierte. An der Gleichzeitigkeit von Arbeiter- und Musikersein hielt er bis zum Tode fest – nach der Schließung seines Tagebaus 1997 schulte er noch zum Tischler um –, auch wenn ihn der Stempel „Baggerfahrer und Rockpoet“ zuweilen ankotzte.

Obwohl er durchaus von seiner Musik hätte leben können – er schrieb auch Liedtexte für die Band Silly –, lehnte er es ab, „für Brot Kunst machen zu müssen“. Aus Prinzip, um sich als Künstler nicht zu verbiegen. Außerdem zog er aus der Maloche einen Gutteil seiner poetischen Kraft, mit der er vor allem nach der Wende die Gefühle und Erlebnisse vieler Ostler beschrieb.

Aus der Seele gesprochen

Songs wie „Alle oder keiner“, „Halte durch“ oder „Hier bin ich geboren“ waren keine Ostalgieschunkler, sondern raue Volks- und Heimatlieder aus der Lausitz, die auch in Rostock und Suhl gut verstanden wurden. Und vom deutschen Rockfeuilleton, dessen Blick über den Tellerrand selten ostwärts ging, geflissentlich ignoriert.

Ein auffälliger Rock-’n’-Roller war er – immer in Jeans und Fleischerhemd und etwas blass – ja auch nicht. Kein Alkohol, keine Zigaretten, irgendwann nicht mal mehr Fleisch aus Respekt vor den Tieren. Geschlaucht war er nicht von zu viel Party on tour, sondern vom Hin und Her zwischen Schicht und Konzert.

Die „gelebte Doppelrolle Werktätiger und Musiker“ war es jedoch nicht allein, die zum Beispiel Axel Prahl fasziniert. Er hatte Gundermann zwar nie persönlich kennengelernt, aber bereits vor dem Mauerfall während eines Gastspiels in Dresden eine Kassette mit Gundermann-Songs von Ostmusikern geschenkt bekommen. „Die gefielen mir sehr gut. Sie haben eine ähnliche Tiefe wie die Songs von Rio Reiser, mit dem ich ja groß geworden bin.“

Anderen Künstlern mit Westherkunft ging es offenbar ähnlich. Wer irgendwann auf die Lieder stieß, entdeckte auch den außergewöhnlichen Künstler dahinter. „Es gab und gibt nicht viele aufrechte Songschreiber“, begründet Stoppock seine Mitwirkung an einem aktuellen Hommage-CD-Projekt in Potsdam.

Zur Schar unterschiedlichster Künstler gehört auch Konstantin Wecker, der das Faszinosum Gundermann auf den Punkt bringt: Der Sänger und Schreiber habe eben nicht nur tolle Lieder geschrieben, sondern den Mut gehabt, sich immer zwischen die Stühle zu setzten. Darin war er wirklich ein Meister, denn beim Kampf für eine bessere, sozialistische Welt verstand er keinen Spaß. „Kein Humor“ nannte er selbst mal seine peinlichste Eigenschaft. Wer nach seiner Ansicht den Sozialismus schädigte, den zählte er an. Guten Gewissens, da er sich selbst voll in die Pflicht nahm.

Dass er Che Guevara toll fand, hatte er mit vielen im Osten gemein. Dass er, um auch ein „Soldat der Revolution“ zu sein, eine Offizierslaufbahn einschlug, war allerdings nicht ganz normal. Vielmehr ein früher Fingerzeig auf die ebenso kompromisslose wie ambivalente Art, die Gundermann für viele zum Spinner machte. Von der Offiziersschule verabschiedete er sich denn auch, nachdem er sich geweigert hatte, ein Loblied auf den amtierenden DDR-Armeegeneral zu singen.

Nichtsdestotrotz ging er gewissenhaft einer Stasi-IM-Tätigkeit nach. Einerseits, um darauf hinzuwirken, dass nicht nur ausgewählte Mitglieder seines Singeklubs die Westtourneen mitmachen dürften, sondern alle. Andererseits verpetzte er privateste Dinge, die er als feindliches, kleinbürgerliches Verhalten betrachtete. Die IM-Tätigkeit beendete er wiederum selbst 1984.

Im selben Jahr flog er auch endgültig aus der SED, weil immer noch galt, was ihm 1979 die Rüge der Spremberger Funktionäre eingebracht hatte: Er würde darauf bestehen, sich seine eigene Meinung zu bilden, gar eine eigene Philosophie, was ja nun eine Beleidigung der Wahrheit des Marxismus-Leninismus sei. So einen Genossen gab’s selten: ein Hundertfünfzigprozentiger und gleichzeitig nicht linientreu, weil auf die Treue zur wahren sozialistischen Lehre pochend – ohne Ansehen der Person. Zitierte den Funktionären aus dem SED-Statut, dass er sie kontrollieren müsse, nicht umgekehrt. In ihrer „Für oder gegen uns“-Beschränktheit guckten die nur perplex aus der Wäsche.

Am Ende war er für alle ein Spinner, denn auch die Arbeitskollegen begriffen nicht, warum er alles so ernst nahm. Seine Kompromisslosigkeit behielt Gundermann nach der Wende bei. Da wollte er, ein großer Springsteen-Fan – von manchen sogar „Springsteen des Ostens“ genannt – so etwas wie eine „Tankstelle für Verlierer“ sein. Links sein bedeutete für ihn: für die „unten“ zu sein.

In der Zeit der Wendehälse war er einer, der mit sich selbst ins Gericht ging, wobei ihm das Verdrängen nicht fremd war. Seine IM-Geschichte hatte er nicht von selbst erzählt, verzeihen mochte er sie sich deshalb keineswegs. „Ich hab mich schuldig gemacht vor mir selbst, vor der Idee des Sozialismus.“

Beliebt auch nach dem Tod

Daran glaubte er weiter, kandidierte 1990 gar für die Vereinigte Linke zur Volkskammer, allerdings mochte er sie zuletzt nicht mehr „als Ideologie, sondern einfach als das Gegenteil von Egoismus und Wegwerfgesellschaft“.

Wer solche Gedanken hegt und in guten Liedern auszudrücken vermag, der findet letztlich überall sein Publikum, und wenn es erst nach dem Tod ist. 2000 gründete sich in Tübingen die Randgruppencombo (so nannte Gundermann sich und seine Band selbst), die seither erfolgreich das Gundi-Liedgut im Lande verstreut. Ebenso wie die alte Begleitband Seilschaft und etliche weniger oder mehr bekannte Musiker, die nicht nur bei den Tributprojekten zum Geburtstag Gundermanns Lieder verbreiten.

■ Dresen Prahl & Band plus Gäste am Sonnabend (ausverkauft) und Sonntag im Kesselhaus, 20 Uhr