„Wir wollen eine kritische Masse bilden“

STIMME X Regisseur Hans-Jörg Knapp und Pola Lia Schulten von der Band Zucker über die Begegnung von Musiktheater und Pop

■ 50, arbeitet als Musiktheater- und Filmregisseur und leitet seit 1997 das experimentelle Musiktheaterprojekt „opera silens“. Gemeinsam mit Frank Düwel hat Kapp im vergangenen Jahr die Reihe „Stimme X“ initiiert.

INTERVIEW ROBERT MATTHIES

taz: Herr Kapp, warum braucht Hamburg eine neue Reihe für experimentelle Musiktheater-Formate?

Hans-Jörg Kapp: Es gibt in Hamburg eine spannende Szene für zeitgenössische Musik und eine Szene für Musiktheater. Beide haben sich viel zu sagen und gemeinsame Interessen, aber sie treffen sich nicht wirklich. Das Format der Reihe setzt einerseits inhaltliche Akzente, fühlt sich aber auch dem Netzwerkgedanken verpflichtet und ist in enger Abstimmung mit dem Dachverband Freier Theaterschaffender Hamburgs entwickelt worden. Es gibt im Musiktheater noch viel zu tun, es gibt wenig Strukturen.

Warum ist die freie Musiktheaterszene so wenig vernetzt?

Kapp: Musiktheater hat es schwerer, weil es noch randständiger ist. Der Tanz hat ja schon lange eine freie Tradition, das Musiktheater hingegen klebt an der Tradition der Staatstheater und an klassischen Konzertsituationen. Der Begriff kommt aus den 60er-Jahren und war damals ein ganz richtiger Kampfbegriff gegen das klischierte Operntheater. Aber in postdramatischen Zeiten muss man einen neuen Begriff formulieren. Musiktheater kann man im Kern heute nicht definieren, es ist eine fragile, sich rhizomatisch in verschiedene Bereiche auffächernde Szene.

Das fällt alles unter Performancekunst mit Musik.

Kapp: Frank Düwel und ich wollten deshalb etwas finden, das diese Stelle markiert und sind auf das Label „Stimme X“ gekommen, weil das Thema Stimme auch in anderen Bereichen viel mit experimentellen Formen zu tun hat. Im Sprechtheater wird immer mehr mit Musik experimentiert – aber wir wollten uns die Kompetenz in Sachen Musik und Musiktheater nicht nehmen lassen.

Es geht also auch darum, sich institutionell und konzeptionell vom Theater zu befreien.

Kapp: Und zugleich zu sagen: das sind alles Spielweisen von Musiktheater. Wir wollen niemanden ausschließen, sondern beziehen verschiedene Bereiche wie Pop, Performance- und bildende Kunst ein. Wir wollen eine kritische Masse bilden.

Bis zum Sommer gibt es jeden Monat ein Stück zu sehen. Immer an einem anderen Ort.

Kapp: Es gibt in Hamburg wenig gute, profilierte Spielorte für zeitgenössisches Musiktheater. Strukturell sind wir ans Lichthof Theater angedockt, wo Matthias Schultze-Kraft sehr profiliertes freies, zeitgenössisches Theater macht. Wir haben im Lichthof Theater begonnen und werden die Spielzeit im Juli dort mit einem Symposium beenden. Dazwischen sollen sich die Musiktheatermacher ihre eigenen Spielorte suchen. So kommen wir viel herum, das ist spannend. Einen eigenen Raum zu finden, ist ein denkbarer nächster Schritt.

Die Resonanz ist gut, rund 40 Projekte haben sich nach der ersten Ausschreibung beworben.

Kapp: Die Hälfte davon hatte auch wirklich Substanz und wir haben gemerkt: das funktioniert. Wir haben aber auch versucht, uns mit denen, die wir ablehnen mussten, noch einmal zu treffen und das Gespräch aufrechtzuerhalten.

Frau Schulten, Ihr Stück „Schlaflied für den Feind“ setzt sich am Freitag mit dem Sirenenhaften und Einlullenden der Stimme auseinander.

■ 25, spielt mit Christin Elmar Schalko im Noise-Pop-Duo Zucker. Derzeit nehmen sie ihr Debütalbum bei Tobias Levin auf. Ab März schreiben Zucker die Musik für die Inszenierung von Joachim Lottmanns Roman „Endlich Kokain“ am Theater Bremen.

Pola Lia Schulten: Wir haben uns mit dem Aufkommen von Feindbildern auseinandergesetzt und uns gefragt: Was bedeutet der Feind im Gegensatz zum Gegner? Feindschaft wird mit bestimmten Mitteln angegangen: Es geht darum, jemanden zu vernichten. Aber was passiert, wenn man mit Feindbildern anders umgeht? Diese Frage haben wir mit den Sirenen kombiniert, die die Menschen mit ihren wunderschönen Gesängen in die Tiefe locken.

Sie entwaffnen also statt zu vernichten.

Schulten: Genau. Wir fragen: Kann ein Schlaflied auch eine Waffe sein: jemanden in den Schlaf zu singen und zu entwaffnen? Bisher haben wir in unseren performativen Arbeiten am Bandkonzept festgehalten, diesmal stellen wir die Stimme in den Vordergrund und fragen, wie weit man sich einlullen lassen und trotzdem noch achtsam sein kann. Es ist ein großes Stück, ein Song, der aus verschiedenen Teilen besteht.

Kapp: Die Zusammenarbeit mit Zucker ist auf Initiative von Frank Düwel und mir entstanden, weil wir gesagt haben: Das ist eine Farbe, die wir unbedingt brauchen. Wir hatten das Zucker-Video „Alles Amazing“ gesehen, das erst einen spektakulären Theaterraum zeigt, die Musikerinnen aber während es Songs stumm bleiben lässt. Das hat wiederum viel mit unserem Nachdenken über Stummheit und Stimme, Performance und Nicht-Performance zu tun. Es zeigt eine ganz wunderbare musiktheatrale Situation. Das sind Ideen, die an der Grenzüberschreitung von Pop in Richtung Musiktheater arbeiten, die uns sehr interessiert.

Was gibt es bis zum Sommer noch zu sehen?

Kapp: Daniel Dominguez zeigt mit „021“ eine Arbeit, die versucht, mit Gehörlosen zu arbeiten und ein Theater zu entwerfen, das Musik nur indirekt evoziert. Man hört sie also nicht wirklich. Friederike Blum und Benjamin Scheuer variieren das Orlando-Thema am selben Abend an verschiedenen Orten. Und die „Hohlraumoper“ von Konstantin Bessonov, Kaj-André Zeller und dem Choreografen Philipp van der Heijden wird Choreografie und Bessonovs Bandprojekt auf einen sehr speziellen Ort beziehen: ein altes Beamtenwohnhaus im Freihafen.

■ „Schlaflied für den Feind – Umarme mich“: Fr, 27. 2., 21 Uhr, Golem. www.stimme-x.de