Kinder müssen hinter Mauern spielen

Erst wurde er wegen „Lärmbelästigung“ vertrieben, jetzt darf ein Hamburger Kindergarten nur mit einer Lärmschutzmauer neu gebaut werden. Der Bürgermeister von der familienfreundlichen CDU kommt trotzdem zur Grundsteinlegung

In Hamburg haben in jüngerer Vergangenheit mehrfach die Interessen von Kindern hinter anderen zurückstehen müssen. So beschwerten sich im Stadtteil Harburg Anwohner über die Essensgerüche des „Löwenhauses“, das Kindern aus sozial schwachen Familien ein warmes Mittagessen anbot. Das Bezirksamt schickte die Bauprüfabteilung vorbei, bemängelte die fehlende Dunstabzugshaube und legte den Küchenbetrieb still. Inzwischen ist das „Löwenhaus“ umgezogen. Bei der Planung des neuen Stadtteils Hafencity wurde bei der Konzeption einer Grundschule der Schulhof vergessen. Der soll nun doch noch angelegt werden – allerdings auf dem Dach des Gebäudes und umgeben von einem hohen Zaun. Im Fall des „Waldkindergartens Kokopelli“ gab ein wiederum lärmempfindlicher Nachbar schließlich nach. Vor Gericht kam es zu einem Vergleich, der dem Kindergarten im Stadtteil Berne den Fortbestand sicherte.  EE

Von ELKE SPANNER

Die Alternative wäre gewesen, den Kindergarten zu schließen. Ersatzlos. Insofern ist Sabine Skwara froh darüber, dass die 40 Mädchen und Jungen der Kindertagesstätte „Marienkäfer“ im Hamburger Stadtteil Marienthal künftig überhaupt spielen dürfen – wenn auch nur abgeschirmt hinter hohen Mauern: Zwei Meter hoch, 60 Meter lang – das sind die Maße der Schallschutzwand, deren Bau das zuständige Bezirksamt dem Träger für den Neubau des Kindergartens auferlegt hat: Anwohner hatten über zu erwartenden Kinderlärm geklagt. „Die Mauer schmerzt natürlich“, sagt Skwara, Vorsitzende des Elternvereines. Aber man gewinne durch diesen Kompromiss ja auch etwas, sagt Skwara: „Einen vernünftigen Standort – und die Möglichkeit zur Existenz.“

Mit der Auflage, die Mauer zu errichten, setzt sich ein Konflikt fort, der in den vergangenen zwei Jahren Gerichte, die hamburgische Bürgerschaft und Jugendpolitiker aller Couleur beschäftigt hat. Auch ihre früheren Räumlichkeiten nämlich musste die Kita „Marienkäfer“ verlassen, weil Anwohner das Toben und Lachen der Kinder als Lärmbelästigung empfanden. Nachbarn waren vor Gericht gezogen und hatten dort Recht bekommen: Im August 2005 beurteilte das Hamburger Landgericht die von der Kita ausgehenden Geräusche als Lärm, der nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz unzulässig sei. Daraufhin schloss der Trägerverein des „Marienkäfer“ mit den Nachbarn einen Vergleich vor dem Oberlandesgericht. Darin wurde vereinbart, dass der Kindergarten bis zum folgenden Juni ausziehen werde. Die Kita-Eltern machten sich auf die Suche nach einem neuen Grundstück.

Doch der Konflikt hatte nicht nur die Gerichte beschäftigt. Am Urteil des Landgerichtes entzündete sich in der Stadt – und später sogar bis in die Bundespolitik – ein Streit darüber, inwieweit die Geräusche spielender und tobender Kinder dem Lärm von knatternden Motorrädern, startenden Flugzeugen und rasenden Autos gleichzusetzen ist. Die Fraktionen in der Hamburger Bürgerschaft waren sich darin einig, dass Kinderlachen Ausdruck des Lebens und keine Belästigung sei. Strittig war aber, wie denjenigen Grenzen gesetzt werden könnten, die das anders sehen. Dass es offenbar eine Reihe Menschen gibt, die sich durch Kinder gestört fühlen, zeigte dann noch ein weiterer, ähnlich gelagerter Fall (siehe Kasten).

Die regierende CDU schrieb schließlich einen Satz in eine gesetzliche Regelung, der die Rechte der Kinder wie auch der sie betreuenden Institutionen stärken sollte: Kinderlärm sei „als selbstverständlicher Ausdruck kindlicher Entfaltung hinzunehmen“. Die Oppositionsparteien SPD und GAL prophezeiten prompt, dass das nicht ausreichen werde. Die Formulierung sei viel zu unkonkret, um Rechtssicherheit zu bieten. Sie forderten ein spezielles Gesetz, in dem „Kinderlärm“ gegenüber herkömmlichem Lärm privilegiert werden sollte, konnten sich damit aber nicht durchsetzen.

Die Befürchtungen der Opposition scheinen sich nun gleich im ersten Anwendungsfall der neuen Regelung zu bestätigen. Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis der Trägerverein des „Marienkäfer“ überhaupt ein neues Grundstück gefunden hatte. Mehr als 20 mögliche Standorte seien besichtigt und geprüft worden, erzählt Sabine Skwara vom Elternverein. Schließlich sei es auf den Plan hinausgelaufen, die Kita auf ein Gelände im Stadtteil umzusiedeln, auf dem eine neue Reihenhaussiedlung gebaut wird.

Kaum jedoch waren diese Pläne bekannt, da machten auch die dortigen Nachbarn gegen die Kindertagesstätte mobil. Das Bezirksamt wollte nach den Worten seiner Leiterin Cornelia Schroeder-Piller eine Einigung. „Die Kinder sollen dort auf Nachbarn stoßen, die sich auf sie freuen“, sagt sie. Deshalb sei die Behörde bemüht gewesen, alle Interessen gebührend zu berücksichtigen: „Marienkäfer ist auch unter zeitlichem Druck. Wir wollten dem Kindergarten eine Perspektive bieten.“

Die CDU-Bürgerschaftsfraktion, deren Gesetz in diesem Fall wirkungslos blieb, sieht sich indes nicht veranlasst, das Thema erneut auf die Agenda zu setzen. Dafür wird am Freitag dieser Woche Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust höchstselbst der Grundsteinlegung beiwohnen. Die CDU-Abgeordnete Karen Koop will wegen „einer einzelnen Verwaltungsentscheidung“ auch nicht gleich in „hektische Betriebsamkeit“ verfallen. Zwar sagt sie, dass das „Anliegen des Gesetzes konterkariert wird“. Nachbessern müsse man jedoch nicht: „Das Gesetz ist eigentlich eindeutig.“

Dagegen sieht sich Carola Veit (SPD) darin bestätigt, dass von Rechtssicherheit keine Rede sein könne. Sie fürchtet, dass hier ein Präzedenzfall geschaffen werde: „Das Bezirksamt geht bei der Bauplanung von vornherein davon aus, dass Kinder Störer sind“, sagt die Abgeordnete. „Das kann bei jedem künftigen Kita-Neubau zum Problem werden.“