CAMEL OHNE FILTER
: In der Kälte rauchen

Ironische Schilder mit Bitten um Geld für eine Rolex-Uhr

Die meisten Junkies sind Alkoholiker, aber nicht jeder Alkoholiker ist ein Junkie. Manche stehen zerlumpt und wie eingefroren am U-Bahnhof Zoo in den Ecken und führen in Superzeitlupe ihr Bier zum Mund. Manche liegen auf oder neben den Bänken in den U-Bahnhöfen. Viele Obdachlose kampieren auch einfach auf der Straße. Wobei obdachlos der falsche, irgendwie paternalistische Ausdruck ist. Eigentlich sind es ja Reisende aus unterschiedlichen Ländern, die hier gelandet sind. Sie treffen auf andere, die auch kein Geld haben, tun sich zusammen und lagern dann etwa auf der Kantstraße, auf Decken und Schlafsäcken, vor sich ironische Schilder, auf denen sie um Geld für eine Rolex-Uhr bitten. Als BewohnerInnen der Straße machen sie die Straße wohnlicher. Es ist schön, dass sie hier sind. Zwei Männer und eine Frau kampieren vor einer Bäckerei, ein paar Meter entfernt vom Theater des Westens. Ich komme gerade aus dem Kino, gehe an ihnen vorbei, kehre dann um, weil sie so sympathisch wirken, und lege zwei Euro in den Pappbecher. Die Frau, vielleicht 30, kommt aus England und fragt nach Zigaretten. Ich zögere kurz, weil ich nur noch drei habe, gebe ihr dann aber doch eine Camel ohne Filter. Für einen Moment ist sie verwirrt und weiß nicht, wo sie sie anstecken soll. Ohne Filter war vor ihrer Zeit. Ich freue mich, dass meine Zigaretten weder Anfang noch Ende haben, gebe ihr Feuer, wir rauchen. Es ist ein bisschen kalt. Sie sagt mit leicht verschlafener, weicher Stimme „I am hungry“; ich sage „I’m also poor“. Mein Konto ist gesperrt, die Wohnung aber warm. Wir sagen „take care“, dann gehe ich weiter. Vor dem asiatischen Imbiss merke ich, dass auch ich hungrig bin und wie schön es gewesen wäre, hätte ich zwei Nudelsuppen gekauft und würden wir nun nebeneinander sitzen und sie essen. Zu Hause esse ich eine halbe Nudelsuppendose von „Erasco“.DETLEF KUHLBRODT