Panzer rollen nach Syrien

TÜRKEI Die Armee evakuiert eigene Soldaten und die Gebeine von Süleyman Schah. Damit soll verhindert werden, dass das Grabmal und seine Bewacher dem IS in die Hände fallen

Türkische Panzer fahren durch die von Kurden zurückeroberte Region Kobani

VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

BERLIN taz | Erstmals seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien sind türkische Truppen in das Nachbarland vorgedrungen. Allerdings nicht, um in die Kämpfe einzugreifen, sondern um eine Gruppe eigener Soldaten, die dort das Grabmal eines frühen türkischen Herrschers bewacht haben, vor anrückenden Milizen des Islamischen Staats zu evakuieren.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag drangen 500 türkischen Elitesoldaten mit 39 Panzern und 57 gepanzerten Fahrzeugen rund 40 Kilometer weit auf syrisches Hoheitsgebiet vor. Das Ziel war eine Halbinsel im Euphrat. Dort stand das Mausoleum von Süleyman Schah, einem Seldschukenführer aus dem 13. Jahrhundert und Großvater von Osman I. Dieser war der Begründer der Dynastie, die 600 Jahre lang das Osmanische Reich regierte. Die Halbinsel mit dem Mausoleum gilt völkerrechtlich als exterritoriales türkisches Hoheitsgebiet.

Das türkische Expeditionskorps kehrte noch in der Nacht nach wenigen Stunden mit den 40 Wachsoldaten in die Türkei zurück. Sie führten die Gebeine von Süleyman Schah mit sich, nachdem sie das Mausoleum selbst gesprengt hatten, damit es den IS-Milizen nicht in die Hände fällt. Das Militär gab anschließend bekannt, es sei zu keinerlei Kämpfen gekommen, lediglich ein Soldat sei bei einem Unfall tödlich verletzt worden.

Politisch interessant an dem Einsatz ist einmal, dass die türkischen Panzer auf dem Weg zum Mausoleum direkt durch die von den syrischen Kurden vom IS zurückeroberten Region Kobani fuhren. Das Mausoleum lag südwestlich von Kobani, 39 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Nachdem die Panzer monatelang tatenlos an der Grenze standen, während die Kurden gegen die IS-Milizen um ihre Stadt kämpften, rollten sie nun, nachdem die Kämpfe rund um Kobani entschieden sind, durch das Gebiet, um die eigenen Leute zu evakuieren. Zweitens gingen der Militäroperation nach Berichten verschiedener türkischer Medien Gespräche mit dem IS voraus, die aber offenbar scheiterten. Die türkische Regierung feierte die militärische Evakuierungsaktion am Sonntag als großen Erfolg. Es sei eine „überwältigend erfolgreiche Aktion unserer Streitkräfte“ gewesen, tönte Ministerpräsident Davutoglu auf einer Pressekonferenz in Ankara. „Wenn man etwas Neues aufbauen will, muss man das Alte bewahren.“ Die derzeitige AKP-Regierung sieht sich gern als Nachfolgerin des Osmanischen Reichs.

Die Opposition wertete den nächtlichen Militäreinsatz völlig anders. „Das war ein einziges Ablenkungsmanöver“, schrieb ein Abgeordneter der kurdischen HDP auf Twitter. Denn während die Regierung die Panzer rollen ließ, spielte sich im Parlament zeitgleich ein anderes Drama ab. Bis drei Uhr Sonntagfrüh ließ die Regierung mit ihrer Mehrheit ein neues Sicherheitsgesetz abstimmen, das die gesamte Opposition zuvor mehrere Wochen lang erbittert bekämpft hatte.

Das Gesetz erweitert die Befugnisse der Polizei so einschneidend, dass Vertreter aller drei Oppositionsparteien davon sprechen, damit sei die Grundlage eines Polizeistaats gelegt. Mit Hunderten von Einsprüchen hatte die Opposition die Verabschiedung des Gesetzes immer wieder verzögert. Zweimal waren daraufhin Abgeordnete der regierenden AKP handgreiflich gegen Oppositionspolitiker vorgegangen. Im Schatten des Militäreinsatzes wurde das Gesetz nun durch das Parlament gedrückt.

Die Gebeine von Süleyman Schah sollen jetzt an einem neuen Platz in Syrien bestattet werden, allerdings dieses Mal in Sichtweite der Grenze ungefähr 50 Kilometer westlich von Kobani. Die türkische Armee hat dort bereits ihre Flagge und mit Ausschachtungsarbeiten begonnen.

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