Schluss mit Spritzen

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Todesurteile werden in den USA vorübergehend nicht mehr mit der Giftspritze vollstreckt. Gegner der Todesstrafe und Experten sind seit gestern überzeugt davon, dass der Oberste Gerichtshof der USA gewillt ist, Hinrichtungen mittels Injektion in Zukunft zu verbieten. In der Nacht zum Mittwoch hatte der Supreme Court zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen eine Exekution in letzter Minute gestoppt. Für die Gerichte bedeutet das, dass sie Verfahren, in denen es um die Tötung per Spritze geht, aufschieben sollen, bis der Supreme Court grundsätzlich eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Form der Hinrichtung getroffen hat. Erstmals seit 30 Jahren gilt somit de facto in den meisten Bundesstaaten, die die Todesstrafe vollstrecken, ein Hinrichtungsstopp.

Wie bei anderen Häftlingen zuvor auch kam die Genehmigung zur Aussetzung der Exekution von Earl W. Berry in Mississippi nur Minuten, bevor der Mann hingerichtet werden sollte. Berry war wegen Kidnapping und Mord im Jahr 1988 zum Tode verurteilt worden. Berrys Anwälte hatten die Beschwerde geltend gemacht, dass die Hinrichtung mit der Giftspritze extreme Schmerzen verursache. Die Strafe sei „grausam und unmenschlich“ und verstoße gegen die US-Verfassung.

Inzwischen haben seit Anfang 2006 US-Gerichte insgesamt 44-mal eine Hinrichtung aufgrund gerichtlicher Eingaben von Häftlingen ausgesetzt. Die verfassungsrechtliche Unklarheit hat die Bundesstaaten Virginia, Georgia, Ohio, Nevada, Arkansas, Alabama und Texas dazu bewogen, im September und Oktober geplante Hinrichtungen nicht zu vollstrecken. 37 der 38 Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe exekutiert wird, benutzten die Giftspritze als Hinrichtungsmittel.

Am 25. September hatte der Oberste US-Gerichtshof anhand der Eingabe eines Häftlings in Kentucky (Baze v. Kentucky) eingewilligt, grundsätzlich über die Zulässigkeit der Giftspritze zu entscheiden. Das sorgte in den USA für einige Überraschung, denn die neun Obersten Richter hatten es in der Vergangenheit stets abgelehnt, Klagen grundsätzlicher Art gegen die Todesstrafe anzunehmen. Experten sprechen nun von einem faktischen Moratorium, denn seit der Ankündigung des Supreme Court sei es landesweit in 23 Bundesstaaten zu einem Aufschub von Exekutionen gekommen.

Heftige Proteste gegen die Hinrichtungspraxis gab es im vergangenen Jahr, als die Hinrichtung des Doppelmörder Joseph Clark in Ohio geschlagene 90 Minuten dauerte. „Es wirkt nicht, es wirkt nicht“, stöhnte Clark wiederholt. Entsetzen löste schließlich der Skandal von Missouri aus. Hier stellte sich nach dem Hinrichtungsaufschub für einen Häftling heraus, dass der zuständige Mediziner nur die Hälfte der vorgeschrieben Menge an Betäubungsmittel vorbereitet hatte. Als bei weiteren Nachforschungen ähnliche Fehldosierungen bei bereits vollzogenen Hinrichtungen aufgedeckt wurden, gab der Arzt zu, dass er Zahlenlegastheniker sei.

Gegner der Todesstrafe wollen das achte Amendment der US-Verfassung, welches die „grausame und unmenschliche Behandlung“ verbietet, nun nutzen, um gegen das „juristisch sanktionierte Töten der USA“ vorzugehen. Nach der jüngsten Umfrage des Gallup-Instituts sprechen sich allerdings 65 Prozent der US-Bürger für die Todesstrafe aus, ein Prozentsatz, der relativ konstant bleibt, wie der New Yorker Rechtsprofessor Robert Blecker meint.

Schon einmal gab es in den USA ein Hinrichtungsmoratorium. Von 1972 bis 1976 wurden keine Todesurteile vollstreckt, nachdem das Oberste Gericht festgestellt hatte, dass allzu viele Urteile willkürlich verhängt worden waren. Nachdem die Bundesstaaten die Verfahrensvorschriften reformiert hatten, wurden Hinrichtungen wieder erlaubt.