Revolution hinterm Passepartout

Prügel-Polizisten, zugedröhnte „Star-Club“-Stars und Mädchen mit Klampfe: Das Oldenburger Landesmuseum feiert den Fotografen Günter Zint mit einer Retrospektive – und nicht zuletzt die wilden Sechziger

„Wenn du tot bist, werden deine Fotos im Museum hängen“, hat Günter Wallraff seinem Freund Günter Zint prophezeit. Zu Unrecht: heute, fast vierzig Jahre nach 1968 reißen sich historische Museen um Zints Bilder, die die Protestbewegungen der Bundesrepublik eingefangen haben. Höchste Zeit, fand Bernd Küster, Direktor des Oldenburger Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte, einen langgehegten Plan umzusetzen: eine Zint-Retrospektive. Als jugendlicher „The Who“-Fan, verrät Küster, hat er schon in den Sechzigern seinen ersten Zint erworben – natürlich ein Band-Porträt. „Ach“, scherzt da der Gegenkultur-Chronist mit dem Fotoapparat munter: „Du warst das!“

Jetzt hängen die Zeugnisse der Revolution, säuberlich hinter Passepartouts, im Oldenburger Schloss. Ausgestellt wird auch ein Exemplar aus Zints Sammlung von im Einsatz zerstörten Kameras. Er ist stolz darauf, dass sein Prozess gegen einen Prügel-Polizisten zu einer Verurteilung eines Staatsdieners im Zusammenhang mit den 68er-Krawallen führte – der einzigen übrigens. Der nun in Oldenburg gezeigte Apparat fiel allerdings dem Salzwasser zum Opfer, das in ein Greenpeace-Schlauchboot schwappte.

Museumsdirektor Küster sieht den Brennpunkt der Ausstellung da, wo Popkultur und Politik wie nirgendwo sonst in den Sixties zusammengefunden hätten: im Hamburger „Star-Club“, wo Günter Zint Stammgast war. Später wurde er eine Art Hausfotograf und von den Plattenfirmen gebuchter Tourbegleiter, denn er konnte nicht nur Fotos machen, sondern auch souverän umgehen mit zugedröhnten Stars und Hotelbesitzern am Rande des Nervenzusammenbruchs. So entstanden Porträts zwischen glänzender Plattencover-Ästhetik und Kiezkneipen-Romantik. Zum „Star-Club“ gehören aber genauso die Krawalle beim Konzert der „Beatles“, als irritierte und überforderte Polizisten auf die krawattentragenden Besucher eindroschen. Daneben hängt Inga Rumpf, damals noch Dekorateurin bei Karstadt, mit Spitzenkragen und Klampfe vor der glänzenden Kaufhausfassade. Und Cher, mit einer völlig anderen Nase als heute, kann die Augen nicht vom Spiegel abwenden.

„Jede zusätzliche Information im Bild belastet das Gehirn“: So erklärt Zint, warum er bis heute überzeugter Schwarz-Weiß-Fotograf ist. Es beschreibt aber auch seine Art, Bilder zu machen: Er erzählt seine Geschichten ohne doppelten Boden, manchmal auch mit dem didaktischen Holzhammer: Der Hippie mit wallendem Haar vor dem Friseurladen. Der nette Polizist, der einer bejahrten Demonstrantin über den Graben hilft. Szenen wie die letztere sieht man aber erst auf den späteren Bildern von den Anti-Atomkraft-Demos der 80er.

Durchaus nostalgisch lässt die Ausstellung auch Kiez-Idyllen auferstehen: Puff-Betten vor großgeblümter Tapete oder auch Künstler, die unbedingt mit Prostituierten posieren wollen, wirken heute seltsam miefig. Doch ahnt man, was es für einen jungen Mann aus konservativer Familie bedeutet haben mag, die Menschlichkeit dieses Milieus zu entdecken. Im Oldenburger Schlossturm schließlich ist zu sehen, was man einst als Ausdruck einer sexuellen Revolution feierte, die sich indes schnell als „Rohrkrepierer“ entpuppte, wie Zint es nennt: Harmlose Schmuddelbilder von Mädchen, die eigentlich ganz sympathisch aussehen. Eines schmust barbusig mit einer knuddeligen, nun, Muschikatze. Jahrzehnte später, erzählt Zint, bekam er einen großen Umschlag aus dem taz-Archiv zurück. „Solche sexistischen Bilder“, hieß es im Begleitschreiben, „drucken wir nicht mehr.“ ANNEDORE BEELTE

Ausstellungseröffnung: Sonntag, 11.15 Uhr, Landesmuseum Oldenburg. Vorgestellt wird dabei auch das Buch „Zintstoff. 50 Jahre deutsche Geschichte“ durch Günter Wallraff