LONG PLAYING RECORD * Jukebox - Der musikalische Aszendent

Einige Aufmärsche der Improvisatoren (getrennt)

Alle Türen offen!

Zuerst der Einwand: „Einer der Hauptgründe, aus denen ich heute gegen Improvisation bin, liegt darin, dass die Person, die die Musik schafft, bei der Improvisation in jedem Fall mit der Musik identifiziert wird. Diese beiden Dinge werden gleichgesetzt… Und deshalb steht bei der Improvisation die Musik nicht für sich. Sie ist sozusagen leibhaftig. Meine durch das Studium von Zen und Cage gewonnene Überzeugung ist es, dass man abseits von seinem Werk zu stehen hat. Sich selbst distanzieren muss von dem, was man tut.“ Das hat der Komponist Gavin Bryars in einem Gespräch mit Derek Bailey mitgeteilt (nachzulesen in Bailey: „Improvisation – Kunst ohne Werk“, 1987). Der Einwand ist berechtigt.

Wenn man aber statt Identität einmal die Intensität nimmt, kann die Sache gleich wieder höllischen Spaß machen. Wie man zum Beispiel von einem Peter Brötzmann niedergeblasen und hübsch in seine sämtlichen Einzelteile zerlegt wird. Nach so einem Konzert mit dem Freejazzer muss man sich wieder neu zusammensetzen. Was auch Aufgabe von guter Musik sein sollte.

Kann man die nächsten Tage in satten Breitseiten haben. Ein Aufmarsch an Improvisatoren. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sie sich gegenseitig mundtot spielen wollen. Die großen alten Männer zuerst: Beim Jazzfest wird heute der Deutsche Jazzpreis an Gunter Hampel verliehen, wogegen niemand etwas haben kann, bei dessen Verdiensten. Gegen das etwas durchgesessene Jazzfest möglicherweise doch. Ausdrücklich als „Rebell“-Konzerte gegen das Jazzfest jedenfalls will die Jazzwerkstatt ihre Veranstaltungen verstanden wissen. Heute und morgen präsentiert sich Peter Brötzmann in unterschiedlichen Formationen im Schlot (www.jazzwerkstatt-berlin-brandenburg.de). Dabei gibt es das bereits 1968 als Gegenfestival zum Jazzfest gegründete Total Music Meeting (www.fmp-online.de) immer noch. Heute und morgen unter anderem mit so Improgroßmeistern wie Evan Parker und Louis Moholo (mit dem auch Brötzmann gern zusammenspielte).

Vielleicht Identitätsprobleme.

Mit Ausblick nach vorn. Bei Time-Shifts im Ausland (www.ausland-berlin.de) sollen alte Helden der Impromusik (am Sonntag etwa Brötzmann-Kumpel Paul Lovens) mit nachgewachsenen Experimentatoren zusammengebracht werden. Ziel: dass sich die Szene nicht in rivalisierende Minifraktionen zersplittert. Türen müssen offen bleiben. THOMAS MAUCH