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Sieger unter sich

Selbstsuche in der New Economy: Konstantin Richter erzählt von Absolventen ohne Eigenschaften – der Debütroman „Bettermann“

VON OLIVER PFOHLMANN

Konstantin Richter hat den Roman zum Jahr der Geisteswissenschaften geschrieben. Denn mit „Bettermann“ legt der Berliner Autor den mentalen Zustand derer offen, die von den Sorgenfächern des Wissenschaftsbetriebs im Semestertakt ausgestoßen werden. Orientierung, soziale und kulturelle, versprechen die Geisteswissenschaften. Gerade an Orientierung mangelt es aber vielen der ausgebildeten Germanisten, Anglisten und Philosophen, wenn sie nach Studienende ihre prekäre Zukunft antreten.

Diese gestaltet sich meist so, wie die von Alex Oswald ausgesehen hätte: „Irgendein Zeitungspraktikum wahrscheinlich. Dann ein schlecht bezahltes Volontariat im sympathischen Kleinverlag, das ich schließlich abgebrochen hätte, um zu promovieren. Über ein Thema, das nie behandelt worden ist, weil es keinen interessiert.“ Richters Icherzähler interpretiert jedoch nicht Stifters „Nachsommer“, sondern die Ad-hoc-Meldungen von SAP. Für das Frankfurter Büro von Roebuck, einer New Yorker Nachrichtenagentur. Der schüchterne Literaturfreak hat sich zum smarten Finanzjournalisten gemausert. Alex, 32, fühlt sich wichtig, zum ersten Mal in seinem Leben. Gleichermaßen großartig wie amüsant sind Richters Innenansichten vom „anarchischen Mikroklima“ bei Roebuck. Alex’ Kollegen, ein illustrer Haufen junger US-College-Boys, warten in „Frank-fucking-furt“ darauf, von der New Yorker Zentrale zu höheren Aufgaben berufen zu werden. Heimlich basteln sie an ambitionierteren Texten wie „Curry Indian“ an einem kafkaesken Porträt der Agentur für Arbeit. Mit solchen Spitznamen muss hier jeder leben, auch Alex, der „Deeder“ genannt wird, weil das deutsch klingt und den Kollegen nazistische Frotzelvorlagen liefert: „Jawohl, but Papa Deeder was – what’s-it-called-again? – Obersturmbannführer! Come on, Deeder, do the Hitler again!“

Als Absolvent ohne Eigenschaften kann sich Alex spielend mit dem Denken der New-Economy-Apologeten identifizieren. Die Ökonomie als dominierendes Teilsystem der Gesellschaft bietet ihm, was das Studium vermissen ließ: Anerkennung, eine Instantidentität, nicht zuletzt das Gefühl von Überlegenheit. Begeistert faselt er vom Siegeszug des Shareholder-Value-Ansatzes und dem überfälligen Ende der verkrusteten Deutschland-AG. „Wenn ich an irgendwas glaube, dann an den freien Wettbewerb. An die unsichtbare Hand des Marktes.“ Nur nachts taucht manchmal die Frage auf, ob er nicht doch sein Leben vergeude.

Ein naiver Geisteswissenschaftler, der in dem ihm fremden Biotop des realen Business ausgesetzt wird und sich wie ein Chamäleon seiner Umwelt anpasst: Das erinnert an Rainer Merkels Roman „Das Jahr der Wunder“ (2001). Merkels Sprachkraft und -sensitivität fehlt Richter; der Berliner Romancier, der selbst nach dem Studium für das Wall Street Journal Europe schrieb, punktet dafür mit einer schnörkellosen, flotten Zweckprosa. Bei ihm wird aus dem Angestellten- mehr und mehr ein Familienroman. Denn das Gerücht, die Hamburger Anwaltskanzlei Bettermann & Partner verhandle trotz interner Widerstände mit einer Kanzlei in London über eine Fusion, stellt Alex nicht nur einen journalistischen Coup in Aussicht.

Die Recherche ermöglicht ihm auch das Wiedersehen mit dem Vorbild seiner Jugend, mit Henrik Bettermann. Der Erfolgsanwalt und Schöngeist mit nie realisierten literarischen Ambitionen war so etwas wie eine Vaterfigur für Alex. Ein Missverständnis führte seinerzeit dazu, dass Bettermann mit Alex brach; eine nie verwundene Demütigung. Jetzt will sich Alex bei dem Anwalt den Respekt abholen, den dieser ihm einst versagte. Gönnerhaft will er Bettermann in seiner Reportage als tragisches Relikt des gemütlichen rheinischen Kapitalismus entlarven.

Das Vorhaben geht schief. Denn ironischerweise führen erst Alex’ Recherchen zu dem von ihm unterstellten Konflikt, verändert erst seine Interpretation die Wirklichkeit in ihrem Sinne. Aufgeschreckt durch Alex’ Besuch, verweigert sich Bettermann der von seinen Partnern vorangetriebenen „Fusionitis“ – und verliert prompt seine halbe Kanzlei.

Die Recherche gerät unabsichtlich zum verspäteten Racheakt. Aber Rache wofür? Während selbst der mächtige Roebuck-Chef in New York glaubt, sein deutsches Nachwuchstalent schreibe in Frankfurt an einer ganz großen Story, begibt sich Alex auf Selbstsuche. Taucht ein in seine Kindheit und Jugend in den Achtzigerjahren in Blankenese, mit einem Vater, der sich in den Kohl-Jahren als enttäuschter SPDler früh ins Privatleben zurückzog, und einer frustrierten Mutter, die Auswege aus ihrer gescheiterten Ehe suchte. Nicht zuletzt bei Henrik Bettermann.

Von Selbstverwirklichung und Idealen träumen bei Richter alle, und alle scheitern am Realitätsprinzip. Mit Ausnahme von Bettermanns Tochter Anna, die sich in der Gegenwart in der digitalen Boheme Berlins als Landschaftsarchitektin durchschlägt. Mit ihr wird Alex am Ende einen Neuanfang wagen. Ein tröstliches, aber inkonsequentes Ende.

Dass diese Boheme, ebenso wie die Geisteswissenschaften, längst selbst von den Ökonomisierungs- und Globalisierungszwängen erreicht wurde, davon weiß Richters Roman noch nichts.

Konstantin Richter: „Bettermann“. Kein & Aber, Zürich 2007, 240 Seiten, 17,90 Euro

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