Die Ballkönigin

Sie weiß, dass Fußball mehr ist als ein Spiel. Sie weiß, dass ein Ball mehr ins Rollen bringen kann als zähe Verhandlungen. Für ihr gewitztes Engagement in der Konfliktregion Marsabit erhält die kenianische Anwältin Fatuma Abdulkadir Adan den Friedenspreis 2011 der Stuttgarter Anstifter

von Susanne Stiefel

Sie freut sich mit einem großen Lachen. Mit diesem typischen Lachen, das sie auch in schwierigsten Situationen nicht verlässt. Zum Glück gibt es auch im schwer zugänglichen Norden Kenias einen Internetanschluss und damit Skype. Und so ist dieses unverwechselbare Fatuma-Lachen auch in Stuttgart zu sehen, als sich Fatuma Abdulkadir Adan Ende Juli im fernen Marsabit über die Stuttgarter Auszeichnung freut. Sie redet nicht vom Geld. Sie redet nicht von sich. Sie redet von den Freiwilligen und den vielen Kindern, mit denen die 33-Jährige seit Jahren arbeitet, und davon, was ihnen dieser Preis im fernen Deutschland bedeutet. Sie redet von ihrer Heimatstadt Marsabit, aus der bisher eher Kriegs- als Friedensbotschaften nach außen gedrungen sind. „Danke, dass ihr uns eine Stimme gegeben habt“, sagt Fatuma via Skype und winkt Kopf an Kopf mit der 15-jährigen Anna.

Anna, die sie einst Fabregas nannten, weil sie Pässe spielte wie keine Zweite. Anna oder einer von vielen Gründen, warum Fatuma Abdulkadir Adan kämpft für Frauenrechte und für Frieden.

Annas Zukunft endete an einem Sonntag 2009. Die 13-Jährige war auf dem Heimweg von der Kirche in Marsabit. Ihre Mutter wollte noch eine kranke Freundin besuchen, das letzte Stück Wegs ging das Mädchen alleine. Nur wenige Meter vor dem schützenden Tor schlugen sie zu, fünf Männer, die die schreiende Schülerin ins Auto zerrten. Sie banden ihr die Augen zu, sie hielten sie zwei Tage und zwei Nächte gefangen, Anna weiß bis heute nicht wo. Sie spricht nicht darüber, was alles geschah während dieser zwei Tage und Nächte. Danach war die Schülerin schwanger, verheiratet mit einem Mann, der doppelt so alt ist wie sie, und an Schulbesuch war nicht mehr zu denken. Dabei wollte sie lernen, um einmal ihre Mutter unterstützen zu können.

In Marsabit ist Fußball viel mehr als ein Spiel

Solche Entführungen sind in Marsabit gängig. „Zwangsheirat ist eine schreckliche Tradition“, sagt Fatuma. Eine Tradition, die die Anwältin bekämpft, indem sie sich für Bildung einsetzt und damit für Aufklärung. Indem sie mit den Mädchen Fußball spielt, allen Stimmen zum Trotz, die das unschicklich finden. Das Selbstbewusstsein der jungen Fußballerinnen wächst mit jedem Mal, wenn sie trotzdem spielen. Obwohl ein fanatischer muslimischer Imam wetterte, dass sie beim Kicken ihre Jungfräulichkeit verlören. Zuerst waren sie erschrocken. Doch als Fatuma erklärte, welcher Unsinn das sei, und lachte, haben sie auch angefangen zu kichern. Wer gelernt hat, Beleidigungen wegzulachen, kann beginnen, für seine Rechte zu kämpfen. In Marsabit ist Fußball viel mehr als ein Spiel. Und Fatuma viel mehr als eine Trainerin.

Alle kennen die 33-Jährige in Marsabit, dieser 20.000-Einwohner-Stadt im Norden Kenias, die mit ihren Hütten und kleinen Häusern eher an ein größeres Dorf erinnert. Wo die Kirche und die Moschee nur wenige Meter auseinanderliegen und sich die Stämme der Borana, Gabbra und Rendile befehden in einem blutigen Clinch um Weide- und Wasserrechte. Beim Massaker von Turbi 2007 metzelten Borana-Krieger 70 Gabbra nieder. Fatuma, deren Eltern zu verschiedenen Stämmen gehören, schaffte es, die Frauen verfeindeter Stämme in der Kirche in Marsabit zu versammeln. Die Gräben überwand die damals 29 Jahre junge Friedensstifterin mit den einfachen Worten: „Wie soll ich zu euch sprechen? Als Borana, als Gabbra oder als Mensch?“ Und heute, vier Jahre später, spielen die Jugendlichen der verschiedenen Stämme zusammen Fußball unter dem Slogan „Wir zielen, um Tore zu schießen, nicht um zu töten“. Wer das fröhliche Fußballtraining auf dem staubigen Dorfplatz gesehen hat, versteht diese Friedensbotschaft.

Sie sind schwerer zu finden als Diamanten: die Friedensmacher in den Konfliktregionen der Welt, die unter schwersten Bedingungen, aber meist im Verborgenen wirken. Ihre Arbeit ist nicht so spektakulär wie der Krieg, den sie zu überwinden trachten, aber unendlich viel wichtiger. Ihre Waffe ist die Beharrlichkeit, mit der sie unermüdlich den Finger in Wunden legen. Ihre Waffe ist die Ausdauer, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen, und die Kreativität, neue Pfade zu finden, wenn alte Wege durch Gewalt verschüttet sind. Frieden wird nicht mit donnerndem Granatbeschuss geschaffen. Frieden braucht die leisen Töne. Sie werden leicht überhört in dieser Welt der schreienden Bilder und grellen Geräusche. In Marsabit ist Frieden ein fragiles Gebilde.

Fatuma Abdulkadir Adan ist in diesem staubigen Ort aufgewachsen, wo die Vulkane Krater in die Wüste gerissen haben und wo der Regen immer öfter auf sich warten lässt. Ihre Mutter hat sie als Kind unterm Bett versteckt, wenn draußen Schüsse fielen. Und deren Mutter tat dasselbe mit ihrem kleinen Mädchen. Fatuma will diesen Teufelskreis von Gewalt und Rache durchbrechen. Frieden war nie ein Fremdwort in ihrer Familie. Der Großvater war ein anerkannter Imam in Marsabit, der die Enkelin die Toleranz der Religionen lehrte. Der Vater war bis zu seiner Pensionierung leidenschaftlicher Lehrer, der mit seinen Schülern hartnäckig über Frieden diskutierte und die Tochter mit seinem Engagement infizierte.

Der Vater: Wir wissen, dass wir Fatuma nicht stoppen können

Da half es wenig, dass sich die Eltern für ihre Älteste einen ungefährlichen und gut dotierten Anwaltsjob in der sicheren Hauptstadt wünschten. Die Tochter baute schon während des Studiums Selbsthilfegruppen in ihrer Heimatstadt auf, organisierte Spargemeinschaften für Frauen und kostenlose juristische Beratung und kam dann zurück, um den Frieden aufzubauen. „Wir wissen, dass wir sie nicht stoppen können“, sagt der Vater in einer Mischung aus Stolz und Angst. „Wenn ich zu Schlichtungsgesprächen aufs Land fahre, erzähle ich meinen Eltern nichts davon“, sagt Fatuma.

Sie verschweigt ihnen auch die Morddrohungen, die immer wieder als SMS auf ihrem Handy aufscheinen. „Wenn du nicht aufhörst, wirst du sterben“ – das hat sie oft und in vielen noch blutigeren Varianten gelesen. Sie zuckt die Schultern. Fatuma Abdulkadir Adan ist sich sicher, dass sie das Richtige tut. Und dann lacht sie in ihrem Büro wieder dieses große Lachen mit großen Zähnen, das so ansteckend ist und schon so manches deutliche Wort sanft vermittelt hat. Fatuma weiß, dass Lachen freimacht und Barrieren abbaut. Und manchmal hilft es auch gegen die Angst. In Marsabit ist diese Frau die Stimme der Hoffnung. Der Hoffnung, dass es auch anders geht.

Unterstützung von der Schwester Barack Obamas

Sie hat eine Graswurzelorganisation mit dem Namen Hodi (Horn of Africa Development Initiative) gegründet, in der sie ihre Projekte bündelt. Sie hat Friedensverhandlungen initiiert zwischen den Stämmen, als die Männer nicht mehr miteinander reden wollten. Sie spielt Fußball mit den Kindern. Sie hat Jugendliche, die auf Drogen waren, von der Straße geholt und mit dem Ball angefixt. Fatuma, die Ballkönigin, scheint unerschöpfliche Energiequellen zu haben – und ein Geschick, Unterstützer zu gewinnen. Die prominenteste ist wohl Auma Obama, die Schwester des amerikanischen Präsidenten, die vor der Preisverleihung am 17. November mit Fatuma in Stuttgart vor die Presse treten wird.

Fatuma Abdulkadir Adan ist nur eine von vielen Frauen Afrikas, die die Geschicke dieses Kontinents entschlossen, beharrlich und mit viel Selbstbewusstsein in die Hand nehmen. Die für Frieden und gegen Armut, für Frauenrechte und gegen grausame Traditionen kämpfen. Das hat auch das Komitee des Friedensnobelpreises erkannt, als es in diesem Jahr den Preis an drei Afrikanerinnen vergab. Übrigens lange nachdem Fatuma sich über den Stuttgarter Friedenspreis freuen durfte.

Der Bildschirm flimmert, die Skype-Verbindung ins ferne Marsabit wird schlechter, die Freude über den Stuttgarter Friedenspreis bleibt. Anna und Fatuma winken ein letztes Mal, erinnern an den Besuch vor einem Jahr, als Anna gerade gekidnappt war und ihre Zukunft zu Ende schien. „Weißt du schon, dass Anna wieder in die Schule geht?“, fragt Fatuma zum Abschied. Und Anna nickt mit einem stolzen Lächeln. Fatuma hat es mal wieder geschafft. Sie wird mehr erzählen, wenn sie in Stuttgart den Friedenspreis der Anstifter entgegennimmt.

Susanne Stiefel hat Fatuma Abdulkadir Adan im Auftrag des Medienprojekts peace counts im Herbst 2010 in Kenia besucht. Der Friedenspreis 2011 der Stuttgarter Anstifter wird Fatuma Abdulkadir Adan bei einer öffentlichen Friedensgala am Donnerstag, 17. November, im Theaterhaus Stuttgart verliehen. Beginn ist um 19.30 Uhr, Karten zu 15 und 18 Euro unter ☎ 07 11-4 02 07 20