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Das Glanzstück sind die Waldläufer

KINO In Manaus ging das 8. Amazonas-Filmfestival zu Ende. Mit guter Organisation und viel Geld hat sich das Event in Brasilien einen Namen außerhalb der Achse Rio–São Paulo gemacht. Das Profil bleibt aber unklar

Filme werden in Gefängnissen und in Krankenhäusern gezeigt. Das Volk soll etwas zurückbekommen

VON GERHARD DILGER

Klasse oder Glamour, eigenes Profil oder Volksnähe? Zum Abschluss des 8. Amazonas-Filmfestivals brach noch einmal die ganze Ambivalenz des Events von Manaus auf, das sich vor Jahren als „Öko-Cannes“ etablieren wollte. Die lokale Version des Oscar-Rituals samt Feuerwerk und prächtigem Folklorespektakel fand zwar auf dem Platz vor dem berühmten Opernhaus statt, doch die Bevölkerung wurde von Sicherheitsbeamten auf Distanz gehalten. Höhepunkt der Siegerehrung war nicht der internationale Wettbewerb mit dem iranischen Berlinale-Gewinner „Nader und Simin – eine Trennung“ an der Spitze, sondern die Auszeichnung der Kurzfilme aus dem brasilianischen Bundesstaat Amazonas. Hauptredner war der Gouverneur.

Um im internationalen Festivalbetrieb punkten zu können, ist ein eigenes Profil erforderlich. Robério Braga, langjähriger Kulturminister des Bundesstaates und Übervater des Festivals, versucht den Spagat. Zusammen mit einer französischen Agentur setzte er zunächst auf Ökologie und „Abenteuer“. Sozialkritische Dokumentarfilme gehörten zu den Highlights, für Glamour waren Sternchen oder alternde Stars aus Europa und Hollywood zuständig. Doch all das ist inzwischen Vergangenheit, dafür mobilisierte beim aktuellen Festival der mexikanische Telenovela-Star Poncho Herrera ein Heer von Verehrerinnen.

Nach wie vor werden viele Filme im Freien, in Krankenhäusern oder Gefängnissen gezeigt, ja sogar an Bushaltestellen. Denn, so Braga: „Unser Volk zahlt den Löwenanteil, also müssen wir ihm viel zurückgeben.“ Private Sponsoren hielten sich leider zurück, bedauerte er, „für die wohnen hier einfach zu wenige potenzielle Kunden“. Mit einer guten Organisation und hohem finanziellen Aufwand hat sich Manaus in Brasilien einen Namen außerhalb der alles dominierenden Achse Rio–São Paulo gemacht. Doch diese Mittel fehlten bei der Filmförderung vor Ort, klagte ein lokaler Produzent: „Wie viele Kurzfilme ließen sich mit dem Geld machen, das für die Ausflüge und Partys während des Festivals ausgegeben wird?“ Stolz kündigte Braga jetzt die Einrichtung eines Studiengangs Film an der Uni des Bundesstaates an. Mittelfristiges Ziel sei der Aufbau eines „Film- und Kulturpols Manaus“ – Produktionsteams aus aller Welt sollen nicht nur von den Naturreichtümern Amazoniens angelockt werden, sondern auch durch qualifiziertes, preisgünstiges Fachpersonal vor Ort. 52.000 Schüler nähmen mittlerweile an künstlerischen Programmen teil, versicherte der Minister.

Einige von ihnen sahen sich die Kurzdoku „Das Brasilien von Pero Vaz de Caminha“ an. Drehbuchautorin und Produzentin Tania Carvalho war aus Rio angereist, um in zwei staatlichen Schulen von Manaus Rede und Antwort zu stehen. Die erste Beschreibung Brasiliens durch den portugiesischen Seefahrer hat ein junges Team aus Rio ironisch mit Bildern aus der Gegenwart unterlegt, die Schüler waren begeistert.

Publikumsliebling im Opernhaus war die feministische Utopie „La source des femmes“ des Rumänen Radu Mihaileanu, gefolgt von einem Film Noir der Brasilianer Beto Brant und Renato Ciasca, der in der Amazonasstadt Santarém spielt. Absolutes Glanzstück war jedoch die Weltpremiere von „Xingu“. Cao Hamburger liefert mit der Geschichte der Waldläufer Villas-Bôas, die den brasilianischen Mittelwesten ab den 1940ern in staatlichem Auftrag erschlossen, einen Beitrag zur aktuellen Debatte über den Entwicklungsweg Amazoniens und den Platz der Indigenen in der Gesellschaft. Gut herausgearbeitet wird das Dilemma der Villas-Bôas-Brüder, Indianerfreunde und Wegbereiter eines tödlichen „Fortschritts“ zugleich. „Xingu“ lief jedoch außerhalb des Wettbewerbs – Cao Hamburger möchte ihn auf der Berlinale zeigen.

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