Ein moderner Rhapsode

Ein träumerischer Rebell ist er, und sesshaft wird er niemals werden: Bittere Totenklagen hat der in Celle lebende kosovo-albanische Autor Bekim Morina geschrieben. Sein Flüchtlingselend hat er allerdings noch lange nicht verarbeitet

Es macht ihm Spaß, den Ursprung der vorosmanischen Gesänge zu ergründen und deren Wurzeln in der Antike zu finden

VON PETRA SCHELLEN

Er guckt so freundlich, da denkt man das gar nicht: dass er hasserfüllte Gedichte geschrieben hat, die sich wie Totenklagen anhören. Dass er verbittert über die Kosten seines eigenen Begräbnisses schreibt, die wohl keiner übernehmen wird: In Celle ist der Kosovo-Albaner Bekim Morina nach mehrjähriger Fahrt durch verschiedene Länder und niedersächsische Landkreise inzwischen angekommen. Und wenn man ihn nach seinen Weg fragt, wird er lebhaft: Die Leute auf den Dörfern seien – nein, nicht schlecht, aber eben speziell. „Wir sind anderes gewöhnt.“

Das stimmt, und dass er eigentlich nur im akademischen Milieu atmen kann, zeigt ein Blick in seine Celler Wohnung: Eine riesige Bücherwand nimmt das halbe Zimmer ein. Auf der anderen Seite ein rotes Sofa mit zwei schwarzen Katzen. Für ihn und seine Frau Bafta ist es die erste eigene Wohnung in Deutschland. Von 2003 bis 2006 hatten sie in einer Wohnung einer Stiftung gewohnt, die auch die Übersetzung von Morinas erstem Gedichtband finanzierte. Das zweisprachige Buch mit dem Titel „Etwas Besseres als den Tod“ ist 2006 im Hannoverschen Revonah Verlag erschienen.

Das alles riecht ein bisschen nach Sesshaftigkeit, aber Morina glaubt noch nicht daran: Noch ist sein Aufenthaltsstatus nicht gesichert, noch reicht der 400-Euro-Job im Antiquariat nicht zum Leben. Da schaut er misstrauisch, wenn einer kommt und von Hoffnung spricht. „Es war ein weiter Weg hierher, niemand wollte uns – da verliert man viel Hoffnung und Energie“, sagt er. Gerade im Kampf um alltägliche Dinge – das Geld für den Bus oder ein Fahrrad.

Dabei steht Autor Morina beruflich jetzt ungefähr da, wo er auch im Kosovo gelandet wäre, hätte es nicht den Krieg gegeben: Literaturwissenschaft hat er in Pristina studiert, hat als Journalist gearbeitet und wegen seiner pazifistischen Haltung im Gefängnis gesessen. Er wollte immer Schriftsteller werden, obwohl man davon so schlecht leben kann. „Vor dem Krieg war das Leben im Kosovo für uns einfacher“, sagt er. Seine schwangere Frau lächelt nachsichtig. Sie hat im Kosovo Literatur studiert wie er – „und dann kam der Krieg. Ich konnte nicht fertig studieren“.

Das hätten Bekim und seine Frau gern in Deutschland getan – aber als Flüchtling mit ungesichertem Aufenthaltsstatus kann man das nicht. Hier wird anderes verlangt: Besuche auf dem Arbeitsamt. Das Vorlegen von Bewerbungsunterlagen. Von Beweisen, dass er sich um Arbeit müht. „Eine absurde Situation. Ich habe mal eine Bewerbung in Gedichtform geschrieben. Darin zähle ich all meine Schwächen auf.“ Er lächelt. Ja, und ein Gedicht an seine Katzen hat er verfasst. Darin erklärt er ihnen, warum er ohne sie wegziehen muss. Ein Text, vorgefertigt für den Doch-Noch-Abschiebe-Fall.

„Ich schreibe über das, was mich wütend macht, und im Moment ist das die Erfahrung des Herumgestoßen-Werdens und der Auseinandersetzung mit Bürokraten.“ Ja, er weiß, dass die ihre Vorschriften haben. Er weiß auch, dass es im Kosovo derzeit vielleicht Gefängnis und jedenfalls keine Arbeit für ihn gäbe. „Dort sind derzeit 70 Prozent der Bevölkerung arbeitslos. Jobs bekommt man nur über Bekannte und Verwandte.“ Doch er hadert. Telefoniert oft mit seinen Angehörigen in der Heimat, mit denen er manchmal Streit bekommt. Denn als er 1999 floh, war er „albanischer Patriot. Das war für uns die einzige Chance, uns gegen den serbischen Chauvinismus zu wehren.“ Inzwischen ist er nicht mehr stolz, Albaner zu sein, und würde auch nicht alles rechtfertigen, was Albaner tun. „Sagen wir so: Ich bin gegen das Unrecht an sich. Und wenn die Albaner den Roma etwas zuleide tun, werde ich genauso für die Schwachen Partei ergreifen.“ Das begreifen seine Verwandten im Kosovo nicht. „Ich kann das verstehen. Die sind immer noch der Diskriminierung durch die Serben ausgesetzt. Deshalb denken sie in Schwarz und Weiß. Aber wir haben uns trotzdem lieb.“

Dass er nicht nur in diesem Punkt zwischen den Stühlen sitzt, spürt Morina natürlich. Dass er sich mit seinem schwindenden Chauvinismus auch unter Exil-Kosovaren unbeliebt macht, auch. Aber das stört ihn nicht, denn die Opposition – das ist irgendwie seine Heimat. Rebellisch ist ja auch die Form seiner Gedichte: Die sind in strengen Vierzeilern geschrieben. Einer Form, die sich bewusst gegen den Trend der modernen kosovarischen Lyrik stellt. „Dort ist es seit einigen Jahren Mode, freirhythmisch und hermetisch zu schreiben. Das lieben die Kritiker. Was im realsozialistischen Albanien geschrieben wurde, verurteilen sie dagegen pauschal“, sagt Morina.

Dabei sei das, was Albanien literarisch schuf, nicht samt und sonders minderwertig gewesen. „Natürlich wurden da auch Hymnen auf die Herrschenden verfasst. Aber es entstanden auch sehr archaische, dichte Texte.“ Sie orientieren sich an den Gesängen der albanischen Rhapsoden – Heldenlieder-Sängern, die Morina als Kind noch auf Hochzeiten hörte.

Und als wolle er die Tradition gegen die freirhythmischen Versuchungen der Moderne schützen, hat sich Morina gleichfalls für das strenge rhapsodische Versmaß entschieden – egal, ob er ein Trinklied schreibt oder eine Totenklage. Da war viel Trotz im Spiel, das gibt Morina zu. Aber das war nicht alles. „Ich will einen Gegenpol zum Mainstream bieten. Ich empfinde den strengen Rhythmus als Herausforderung. Ich muss mich mühen, um Worte zu finden, und ich finde sie!“ Anders als im Alltag liebt er es hier sehr wohl, sich durchzubeißen. Mit Worten kämpfen heißt für ihn: authentisch sein. Dass er auch schon freirhythmische Verse schrieb – ja, das gibt er zu. „Aber ich will es dann tun, wenn es mir aus der Feder fließt, und nicht, weil irgendwelche Kritiker es wollen.“

Wenn Morina von seiner Rhapsoden-Forschung spricht, sieht und hört er nichts anderes: Nicht nur, dass er etliche Texte gesammelt hat. Es macht ihm auch ein Riesenspaß, den Ursprung der vorosmanischen Gesänge zu ergründen und deren Wurzeln in der Antike und in Völkern aller Himmelsrichtungen zu finden. Literatur als Schmelztiegel – das gefällt Morina, der inzwischen fast perfekt Deutsch gelernt hat, alles autodidaktisch. „Ich hatte ja in den ersten Jahren, als ich nicht arbeiten durfte, nicht viel anderes zu tun“, sagt er. Das Lob hört er nur mit halbem Ohr. Längst schwärmt er wieder von seinen Rhapsoden.