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EIN SEHR SELTSAMER POLIZEIEINSATZWie ein Schwabe mit ägyptischem Namen ins Visier der Ermittler gerät

Eine auffällige Observierung, eine versuchte Festnahme – und die Polizei weiß von nichts

VON OTTO DIEDERICHS

So um halb vier an einem schönen Dienstagnachmittag im Oktober. Der Deutschägypter Talaat M. (Name geändert) hat sich am U-Bahnhof Südstern mit einem Freund verabredet. Dieser verspätet sich etwas, und da Talaat M. somit Muße hat, blickt er in die Welt und bemerkt dabei vor der angelegenen Trattoria zwei Herren mit Sonnenbrille, die ihn offenbar recht interessiert beobachten. Noch denkt sich Talaat M. nichts dabei, und als der Freund endlich kommt, machen sich die beiden auf den Weg. Auch die zwei Herren brechen auf und haben die gleiche Richtung. An der Dieffenbachstraße beschließen die Freunde einzukehren und etwas zu essen. Ein dritter Herr tritt auf und setzt sich in dem zu dieser Zeit erstaunlich leeren Lokal direkt an den Nebentisch, trinkt etwas und bricht nach knapp zehn Minuten wieder auf. Bis hierher ist die Geschichte nicht wirklich ungewöhnlich.

Kurz darauf jedoch geht die Tür erneut auf und sechs Herren umstellen den Tisch von Talaat M.; sie weisen sich mit Kripomarke und grünem Dienstausweis der Schutzpolizei aus und bitten Talaat M. um seine Personalien. Der jedoch hat seinen Ausweis nicht dabei. Dies könne man auch anders klären, meint der Wortführer der Beamten. Der von ihnen Gesuchte, dem Talaat M. stark ähnele, habe eine circa zehn bis zwölf Zentimeter lange Messernarbe auf dem Bauch; ob sie denn wohl mal seinen sehen dürften.

Man begibt sich also in den Flurbereich zu den Toiletten, während drei der Herren weiterhin Talaats Freund umstellen. Keine Narbe. Die Herren bitten um Entschuldigung für den Irrtum und verabschieden sich.

Ein gemischter Polizeieinsatz mit sechs Beamten für eine Observation mit Festnahmeversuch ist für eine Einzelperson allein für sich schon eine größere Aktion. Bei Gewaltverbrechern oder Großdealern ist so etwas üblich und angemessen. Talaat M. jedoch ist ein waschechter Schwabe, spricht kein einziges Wort Arabisch, hatte zu seiner Taxifahrerzeit die Einfahrtberechtigung für den Sicherheitsbereich des Bundestages und bekam noch im Januar des Jahres ein lupenreines Führungszeugnis. Wie also geriet Talaat M. ins Visier der Sicherheitsbehörden und wie kam das Ganze überhaupt zustande?

Bei der Berliner Polizei ist der Einsatz auf Nachfrage „nicht bekannt“. Befragt wurden für diese Antwort die spezialisierten Drogenermittler, das Dezernat Organisierte Kriminalität und auch die allgemeine Personenfahndung. Selbst dort, wo beim Landeskriminalamt (LKA) alle Einsätze dokumentiert werden sollen, ist offiziell nichts bekannt. Die Antwort ist glaubhaft.

Doch die Geschichte geht weiter. Als Talaat M. und sein Freund nach dem Essen ihren Weg fortsetzen, fallen ihnen nach kurzer Zeit im parkähnlichen Mittelstreifen der Grimmstraße zwei der bereits bekannten Herren erneut auf. Den letzten bemerken sie gegen 20 Uhr am Planufer des Landwehrkanals. Obwohl bereits bekannt ist, das Talaat M. nicht der Gesuchte ist, wurde der Einsatz also fortgesetzt.

Wer war hier im Einsatz?

Unabhängig vom dilettantischen Festnahmeversuch mitten in einem Lokal tauchen damit weitere Fragen auf. Zunächst denkt man in solchen Fällen reflexartig an Drogenhandel. Ein Antidrogeneinsatz oder eventuell wegen Zigarettenschmuggels wären über die gemeinsamen Ermittlungsgruppen von Polizei und Zoll beim LKA durchgeführt worden. Aber dort weiß man davon ja nichts.

Ein Anruf beim Verfassungsschutz ergibt erwartungsgemäß „keine Auskunft über operative Einsätze“. Doch für einen Festnahmeversuch wäre ohnehin polizeiliche Unterstützung notwendig gewesen, und auch hierzu gibt es keine diesbezüglichen Aufzeichnungen.

Wenn also nicht die Berliner Polizei im Einsatz war, wer war es dann? Beamte aus Brandenburg oder anderen Bundesländern müssten sich bei einem Einsatz außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs im Präsidium am Platz der Luftbrücke anmelden. Und dies würden sie in aller Regel auch tun, sagt die Berliner Polizei. Gleiches gilt für das Bundeskriminalamt. Irgendjemand spielt hier offensichtlich falsch. Doch auf die Frage „wer?“ wird es wohl nie eine Antwort geben.

Talaat M. kann über sein Erlebnis der besonderen Art inzwischen schon wieder lachen. Aber ein irgendwie etwas mulmiges Gefühl schwingt dabei mit.

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