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Dazu dieser Rauschebart

FÜR DIE MODERNEN UNTER DEN ROCKISTEN Tief im Sumpf amerikanischer Traditionen: My Morning Jacket im Festsaal Kreuzberg

Neulich waren Wilco in der Stadt. Wilco haben ein ähnliches Zielpublikum wie My Morning Jacket, und machen, grob gesprochen, auch ähnliche Musik. Also indieorientierten Country Rock, mal mit mehr Experiment, mal mit weniger; insgesamt mit beiden Beinen tief im Sumpf amerikanischer Traditionen und ihrer Musiken stehend; und gerne einmal mit Ausflügen in den Horror von Prog- und Schmockrock. Halten Wilco sich clever, sind sie mit aller Gebrochenheit, die sie zu außerordentlichen Platten wie „Yankee Hotel Foxtrot“ befähigen, auch so etwas wie Feuilletonrock. My Morning Jacket stiefeln dagegen trotz vieler Off-Hollywood-Filmeinsätze und diesem gewissen White-Trash-Amerika-Holzfällerhemd-Bonus zu tief in diesen Sümpfen herum, um noch Feuilletonrock zu sein. Sie sind dann eher so Rockmagazinrock der aufgeklärten Sorte.

Das Publikum, das sich in der kalten Novembernacht am Mittwoch im Festsaal Kreuzberg eingefunden hatte, kann man sich da schon so ungefähr vorstellen. Was man sich nicht vorstellen konnte, war der imposante Tourbus, mit dem die Band aus Louisville, Kentucky, da angefahren war. Ein Monstrum in schickem Weiß, das den halben Vorderhof des Festsaals einnahm und fast größer war als dieser selbst. Das war noch nicht alles: Vor der Tür des Festsaals stand noch ein Lastwagen für die Instrumente.

My Morning Jacket spielen also in einer höheren Liga, eigentlich. In den Staaten und in Japan zumindest. Hierzulande sind sie trotz ihrer sieben oder neun Platten immer noch ein Geheimtipp. Und für In-Crowds schon wieder langweilig: Die amerikanische Exilgemeinde aus New Neuköln, die im Festsaal oder im angrenzenden West Germany sonst immer locker die Mehrheit stellt, blieb diesmal weitgehend zu Hause.

Das Konzert war dann, kurz gefasst – perfekt. Für zwei Stunden Spielzeit erstaunlich kurzweilig. Weil angenehm heterogen. Was die fünf Musiker nämlich beherrschen: ihre Instrumente. Das Rockstück mit dramatischem Aufbau. Den kleinen und den großen Pathosmoment. Das Finale Furioso samt Powerschlussakkord, bei dem sich alle um den Schlagzeuger herum sammeln. Ja, richtig gelesen. My Morning Jacket sind im Grunde eine Rockistenband, die scheußliche Klischees bedient, und die einen – man erinnere sich an U2 – dann aber immer wieder mit einer tragischen, elegischen Note und einer Geste rumkriegt, die irgendwo zwischen Filmerleben und So-sollte-das-Leben-doch-sein liegt.

Stellvertretend dafür stehen drei Fünftel der Band: Sänger Jim James, der gern mal „das singende Handtuch“ gibt oder sich eine blinkende Spielkiste um den Hals hängt; Gitarrist Carl Broemel (die Namen alle wie ausgedacht) mit Ron-Wood-Gedächtnisfrisur; und nicht zuletzt Patrick Hallahan, der, wie es sich für einen Rockschlagzeuger gehört, natürlich die längste Matte im Laden hat und dazu diesen Rauschebart. Man stellt sich gleich vor, wie er hinter der Bühne sich erst mal gemütlich eine dreht und alles ganz lässig findet.

Für den im guten Sinne progressiven Teil der Band, dem Teil, der My Morning Jacket eben doch eine Spur interessanter macht als eine x-beliebige Yes- oder Cream-Revivalband, sind wohl Bassist Tommy und Bo Koster an den Tasten verantwortlich – zwei junge, adrette Herren, die sich schon äußerlich von Waldschratigkeit und Späthippietum absetzen: Der eine trägt einen Casinohut, der andere eine schnittige Kurzhaarfrisur. Sie sorgen mit überraschenden Elementen – ein Discobasslauf, eine Funklinie – für die modernen Züge. So passt das alles schon ganz gut. RENÉ HAMANN

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