Keine Shrimps, keine Steaks

Erst die Nähmaschine, dann Lkw, Bus und Motorrad. Hauptsache was mit Motor. Wie Isabel am Ende mit zehn Frauen ein Boot baute und nun Touristen befördert. Eine Reise durch Costa Rica, durch tropische Regenwälder, eine Gegend, die wie das Allgäu aussieht – und kahle Hügel

Einreise: EU-Bürger benötigen bis 90 Tage Aufenthalt kein Visum.

Gesundheit: Für Costa Rica sind keine Impfungen vorgeschrieben, in manchen Regionen ist eine Malariaprophylaxe empfohlen. Das Gesundheitswesen gilt als gut und ist annähernd mit westlichem Standard zu vergleichen.

Geld: Offizielle Währung ist der Colon (Colones), fast überall wird aber mit US-Dollar bezahlt. Costa Rica ist kein Billig-Reiseland.

Infos: Gut gemachter Webauftritt des Fremdenverkehrsamtes: www.visitcostarica.com

Lesen: „Costa Rica. Lonely Planet“. Von Mara Vorhees und Matthew Firestone. Mairdumont, Ostfildern 2007, 632 S., 24,95 €

Pauschal: Meier’s Weltreisen bietet Bus- und Selbstfahrer-Rundreisen durch verschiedene Landesteile an. Die 17-tägige Reise „Costa Rica – ein Garten Eden“ führt von San José aus zu mehreren Nationalparks. Sie kostet ab 2.449 €, inkl. Flug ab/bis Deutschland, 14 Übernachtungen/Doppelzimmer, Studienreiseleitung, Eintrittsgelder, Nationalparkgebühren. Buchungen und Infos im Reisebüro oder unter www.meiers-weltreisen.de

VON BARBARA SCHAEFER

Isabel Cruz Diaz schaut am Steuer ihres Bootes konzentriert über die träge dümpelnde Wasserfläche des Golfs von Nicoya. Sie trägt eine Mütze, damit die Sonne sie auf der Fahrt zur Isla Chira nicht blendet. Ihre Zehennägel sind schrill rosa lackiert. „Pintan uñas“, Fingernagelstudio, so stand es auf handgemalten Pappschildern an der Dorfstraße von Manzanillo. Aber so einen Laden aufzumachen, das wäre der 34-jährigen Isabel Cruz Diaz nie in den Sinn gekommen. Die Mutter dreier Kinder war zuerst Fischerin, „aber am liebsten bin ich Lkw gefahren oder Bus oder auch Motorrad.“ Motoren findet Isabel klasse.

Doch eine Geschäftsidee musste her. Das, was die Männer seit Jahr und Tag machten, brachte kaum noch Geld, und die Männer, so schien es, waren nicht in der Lage, sich etwas anderes einfallen zu lassen. „Hier ist einfach jeder Fischer“, sagt Isabel. Zu viele Fischer, zu wenig Fische. An Letzterem sind auch die Chemikalien schuld, die von Plantagen ins Wasser gelangen, Bananenanbau ist einer der größten Einnahmequellen Costa Ricas. „Hühner züchten und verkaufen“ war die erste Idee der Frauen von Isla Chira. Isabel stimmte murrend zu. Es brachte nicht genügend ein.

So verfielen sie aufs Nähen. Aber Nähmaschinen waren noch nicht das, was Isabel unter Motoren verstand. Schließlich beschlossen die Frauen, mit einem Boot Urlauber auf ihre Insel zu bringen und ein Hotel zu bauen. Selbst zu bauen, genauso wie das Boot. „Actuar“ – „Handeln“, eine staatlich subventionierte Organisation, die ländlichen Tourismus unterstützt, brachte den Lehrer einer Schule für Bootsbau in ihr Dorf, und mit ihm bauten die zehn Frauen der Kooperative „La Amistad“ ihr Boot.

„Amistad“ – Freundschaft – heißt auch ihr kleines Hotel mitten im Wald auf der Insel. Isabel und ihre Freundin Dora haben gekocht: Reis mit Bohnen, Kochbananen und Reis mit Muscheln, die sie am Strand gesammelt haben. Den Papayasaft schenken sie aus einem selbst getöpferten Krug ein. Nur Shrimps würden sie nie servieren. „Shrimpsfarmen schädigen unsere Mangrovensümpfe“, sagt Isabel. Sie holt Nachschlag vom Reis, dazu marschiert sie über die Wiese vor dem Haus zu einem seltsamen Parabolspiegel, innen mit glänzendem Metall beschlagen und zur Sonne ausgerichtet. In seinem Brennpunkt steht das Essen – und brodelt. „Interessante Technologie, nicht wahr?“, grinst Isabel.

Unsere costa-ricanische Reiseleiterin Margrit Ulrich – ein Schweizer Vater hat ihr diesen Namen vererbt – führt uns mit nie ermüdender Begeisterung weiter nach Monteverde, von einem Naturpark zum anderen. Sie hat Tropenbiologie studiert, spricht sehr gut Deutsch und kennt vermutlich alle Tiere und Pflanzen Costa Ricas. Monteverde ist wegen seines artenreichen Nebelwalds eines der bekanntesten Ziele des hiesigen Naturtourismus. Der Naturpark Monteverde hat sowohl eine pazifische als auch eine atlantische Seite, weil er auf dem Rücken liegt, der das schmale mittelamerikanische Land teilt.

Monteverde wurde von Amerikanern besiedelt: In den Fünfzigerjahren emigrierten Quäkerfamilien aus den USA nach Costa Rica. Ein Land, das per Verfassung kein Militär unterhält, schien den Pazifisten zu Zeiten des Koreakrieges eine gute Wahl. An Strandleben waren sie nicht interessiert, sie wollten Milchvieh züchten und zogen in die ans Allgäu erinnernden Hügel. „Montino“ und „Monteverde“ heißen ihre bekanntesten Käsesorten. Die Quäker hatten, im Gegensatz zu anderen Viehbaronen, den Wald nicht abgeholzt, sondern sofort große Gebiete geschützt. Und deshalb nehmen bis heute Besucher die Fahrt auf der elend langen, ungeteerten Straße durch die Berge auf sich, alle wollen in den Nebelwald. Bei unserem Besuch gibt es keinen Nebel. Staubtrocken führt der Weg durch den Wald.

Durch das einstige Habitat von Fleecejackenträgern flanieren Backpackerinnen im Trägertop. „Noch vor zehn Jahren war es in Monteverde immer kalt und neblig, und jetzt bauen die Hotels Swimmingpools.“ Margrit schüttelt den Kolf. Passend zu den Naturschutzgebieten entstanden zahlreiche Projekte, es gibt eine Schmetterlingsfarm, in der handtellergroße, kobaltblaue Falter umherflattern, eine Canopy-Tour, auf der Waldbesucher mit bis zu 65 Stundenkilometern auf himmelhohen Seilen durch das Dach des Waldes düsen, einen Orchideengarten und die „Insektenwelt“. Andere Schilder weisen zu „Sabines Smiling Horses“ und „Sofia Nueva latino cuisine“.

Victoria gibt sich mit so was nicht ab. Die 23-jährige Biologiestudentin aus Massachusetts verbringt zwei Jahre in Monteverde, führt Landsleute durch das Schutzgebiet, 85 Prozent aller Costa-Rica-Besucher sind US-Amerikaner. Am liebsten leitet Victoria Touren zum Bird Watching. Wer mit Guide in den Wald zieht, nimmt eine Liste mit und hakt ab, was er gesehen hat. Den so berühmten wie scheuen Quetzal, die Baumdrossel Yiguirro, ein unspektakulärer brauner Vogel, aber weil er als Erster am Morgen singt, ist er Costa Ricas Nationalvogel. Und natürlich einen Kakadu, „großer Schnabel mit hinten einem Vogel dran“, wie Margrit sagt.

Am meisten spricht Victoria aber über ein Tier, das es nicht mehr gibt: die Goldkröte, ein nur fünf Zentimeter großes, rotgolden glänzendes Krötlein. Erst um 1960 von Zoologen entdeckt, lebte sie ausschließlich hier, 1989 wurde das letzte Exemplar gesehen, die Goldkröte ist seither ausgestorben. Warum, das kann auch Victoria nicht beantworten. Zum Ende des vorigen Jahrhunderts raffte ein Amphibiensterben weltweit Lurche, Frösche und Kröten dahin, globale Erwärmung mit Trockenperioden dürften schuld daran gewesen sein. Und wenn man eben, wie die Goldkröte, einzig und allein in ein paar lokal begrenzten Pfützen lebt, sind auch Hotelpools keine Rettung.

Victoria erzählt, die Naturschutzverwaltung wolle einen Dino-Park bauen, die deutschen Zuhörer zucken zusammen. Disney im Nebelwald? Aber hinter der Idee steckt mehr. „Kinder wissen, dass Dinosaurier ausgestorben sind. Aber sie wissen nicht, wie viele Tiere heute vom selben Schicksal bedroht sind.“ Was mit Tyrannosaurus rex und der Goldkröte geschah, dies soll ihnen in Monteverde erklärt werden, kann auch Faultier und Laubfrosch passieren.

Am Ende der Reise fahren wir an der Pazifikküste entlang, Margrit zeigt auf Nasenbären am Straßenrand, die unbekümmert Futter suchen. Diese Tiere verlören durch die Gewöhnung an den Menschen ihre Wildheit. Wohin das führt, sehen wir im Nationalpark Manuel Antonio, mehr ein offener Zoo als eine Wildnis. 300.000 Besucher im Jahr spazieren auf einer Forststraße hindurch. Die Chancen, Totenkopfäffchen, Brüllaffen und Faultiere zu sehen, stehen sehr gut.

Als ein Ranger warnt, nicht zu nah am Gras vorbeizugehen, weil er eine giftige Schlange gesehen hat, pirschen sich Japaner in Shorts zum Fotografieren noch dichter heran. Margrit wendet sich resigniert ab. Dann zeigt sie aufgeregt zu einem Baum, in dem ein brauner Sack hängt. „Ein Zweizehenfaultier“, ruft sie verzückt. Wie die faulste Katze der Welt hängt das Wesen seinen Arm um einen Ast. Bloß keinen Stress. Auf dem Boden sei es leichteste Beute, weshalb das Tier nur einmal in der Woche herabsteige, um seine Notdurft zu verrichten, erklärt Margrit. Fällt eins der Kinder vom Baum, lasse die Mutter es liegen. Wir sind empört. Margrit sagt: „Ein Faultier, das vom Baum fällt, ist kein gutes Faultier.“

Außerhalb der üppig tropischen Parks präsentiert sich Costa Rica waldlos. Einzig ein Schilderwald zieht sich an der Küste entlang. „Zu verkaufen“ steht da auf Englisch. Buchhandlungen bieten die passenden Werke dazu an: in siebter Auflage „Costa Rica für Rentner“ und „How to buy Costa Rica Real Estate without losing your Camisa“ – wie man Landbesitz in Costa Rica kauft, ohne sein letztes Hemd zu verlieren. Rinderbarone hätten das Land so niedergerodet, erklärt Margrit, dass aus Wald kahle Baugrundstücke geworden seien. Von 1930 bis 1970 wurde 70 Prozent des Regenwaldes abgeholzt. Logisch, dass Margrit nicht nur keine Shrimps, sondern auch keine Rindersteaks isst.