Von den Vorteilen einer Randsportart

Seit gerade mal drei Jahren trainiert Timm Bergmann ernsthaft Unihockey. Dennoch war er mit dem deutschen Team bei der B-Weltmeisterschaft in der Schweiz. Die Mannschaft scheiterte am Sonntag erst ganz knapp im Finale

Unihockey ist in Nordeuropa längst eine der drei beliebtesten Sportarten

Eine Berliner Berufsschulsporthalle in Tempelhof vor etwa drei Jahren: Es ist Freitagabend, gegen 19 Uhr, und auf dem Parkett versuchen eine handvoll schwitzender Menschen einen gelochten und 23 Gramm leichten Plastikball mit Kunststoffstöcken in zwei Tore zu befördern. Innerhalb der kniehohen Bande hat Timm Bergmann zwei ernstzunehmende Kontrahenten. Einen fast 60-jährigen Sportlehrer, der früher einmal, irgendwann in den 70er-Jahren, Eishockey gespielt hatte und den fast körperlosen Sport Unihockey nun mit seinen Erinnerungen verwechselt. Und seinen eigenen Ehrgeiz, in dem extrem schnellen Spiel, das vor knapp 40 Jahren in Schweden erfunden wurde, immer wieder die Tricks mit dem Ball anzuwenden, die er sich im Internet auf skandinavischen, Schweizer oder tschechischen Seiten abgeguckt hat.

Wie viel der junge Mann mit den modisch halblang getragenen Haaren aus dieser Zeit im Freizeittraining des Berliner Unihockey-Bundesligisten SGBA Tempelhof gelernt hat, ist heute schwer zu sagen: Aber immerhin lässt sich festhalten, dass sich der 15-jährige Jugendliche von damals seit gestern Vize-Weltmeister nennen kann. B-Vize-Weltmeister zwar nur, aber für einen, der den nun weltmeisterlich beherrschten Sport erst vor sechs Jahren in einem Finnland-Urlaub zu Gesicht bekam, ist das schon aller Ehren wert. Beim Weltturnier der Besten unter 19-Jährigen ist er am Sonntagnachmittag im Schweizer Kirchberg, nahe Bern, als einer von 22 deutschen Spielern erst im Finale der B-Gruppe gegen Dänemark mit 6:7 gescheitert und hat damit den Kampf um den Aufstieg unter die Top-acht-Nationen nur ganz knapp verloren.

Worte kann Timm nach dem Spiel in Zuchwil, ein Vorort der Kantonshauptstadt Solothurn, nicht finden. Realisieren, was er und seine Teamkollegen aus neun deutschen und einem schwedischen Verein in den zurückliegenden fünf WM-Tagen trotz der Niederlage geleistet haben, schon gar nicht. Auf den Punkt bringt es für den noch nicht ganz 18-jährigen Abiturienten, der zeitgleich zu seinen Teamkameraden zurückgeht und sich bei den deutschen Fans bedankt, ein WM-Volunteer vom Schweizer Top-Klub Wiler-Ersigen: „Für die Entwicklung unseres Sports ist es das Wichtigste, dass Deutschland endlich mit von der Partie ist. Die Final-Niederlage ändert überhaupt daran nichts.“

Timm und der Rest der Truppe sind also nicht nur kleine Vize-Weltmeister, sondern auch Hoffnungsträger. Weil sie helfen können, den Sport, der in Nordeuropa, in der Tschechischen Republik und in der Schweiz längst zu eine der drei beliebtesten Sportarten geworden ist und dort live im Fernsehen übertragen wird, auch in Deutschland populär zu machen.

Davon kann freilich noch nicht die Rede sein. Aber so wie die deutsche U-19 dieser Tage den kreativen Spielsport betrieben hat, hat dies vorher noch nie eine andere deutsche Auswahlmannschaft getan. Dazu sorgten etwa 80 mitgereiste und überaus lautstarke Fans dafür, dass es bei den B-WM-Spielen der deutschen Mannschaft bisweilen stimmungsvoller zuging als bei manchen WM-Spielen der A-Liga.

Wie weit Deutschland dennoch von den Top-Nationen entfernt ist, lässt sich wiederum prima an dem Berliner Bergmann erklären, der in Deutschland einer von circa 5.000 Vereinsspielern ist. Zum Vergleich: In Schweden sind es über 130.000 Lizenzierte. Dazu befindet sich in den Reihen der dominierenden Mannschaften auch keiner, der für den WM-Trip und die Übernachtung in einem 30-Bettenzimmer 400 Euro aus der eigenen Tasche gezahlt hat. Finnen, Schweden und Schweizer übernachten zu Anlässen wie internationalen Turnieren in den besten Hotels der Region. Und vor allem findet sich kein Spieler in den Kadern der großen Unihockey-Nationen, gegen die Deutschland bei der nächsten U-19-Weltmeisterschaft beinah hätte antreten dürfen, der den Sport erst vor sechs Jahren kennen lernte und der erst seit zwei Jahren ernsthaft im Trainingsbetrieb eines echten Vereins steckt.

MATHIAS LIEBING