Ein Jägersmann mit Hut

PIRSCH Lieber Jagd & Hund als Volk & Welt: Erich Honecker erholte sich vom Regieren gern beim Tieretöten. Nun wird sein ehemaliger Jagdsitz versteigert

■ Der Termin: Nächste Woche wird in Waren (Kreis Mecklenburgische Seenplatte) der ehemalige Jagdsitz von Erich Honecker am Drewitzer See versteigert. Der Verkehrswert liegt bei rund 1,86 Millionen Euro.

■ Die Zukunft: Als Hauptinteressent gilt die holländische Van-der-Valk-Hotelgruppe, die das rund 14 Hektar umfassende Areal bislang als Hotel Resort betrieb – und auch weiter zu betreiben beabsichtigt (www.jagdresidenz.de).

■ Der Hintergrund: Vor 22 Jahren fiel die Berliner Mauer. Die Privilegien der ehemaligen DDR-Elite erzürnen die BürgerInnen der neuen Bundesländer jedoch bis heute.

AUS NOSSENTINER HÜTTE MARTIN REICHERT

Mindestens zweimal in der Woche ging der gelernte Dachdecker auf die Pirsch. Zum Teil erlegte er das Wild sogar aus dem fahrenden Auto – was sich weder in adeligen noch in bürgerlichen Jägerkreisen ziemt. Doch der Dachdecker war nicht irgendwer, es handelte sich um den Generalsekretär des Zentralkomitees (ZK) der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR, kurzum: Erich Honecker. Herr mit Hut über ein kleines graues Land und passionierter Jäger.

Noch in den letzten Herbsttagen vor dem Mauerfall im November 1989 hatte sich der greise Honecker auf sein Jagdanwesen am Drewitzer See im heutigen Kreis Mecklenburgische Seenplatte zurückgezogen. Die Eliten der DDR, sie lebten einsam und abgeschottet von Volk & Welt, gleich ob in der Wandlitz-Siedlung bei Berlin oder in ihren elitären Jagdresidenzen.

Schon der „Reichsjägermeister“ Hermann Göring hatte mit seinem Anwesen „Carinhall“ in der Schorfheide gezeigt, wie es geht – und Erich Honecker selbst muss bereits 1946 am nahen Bogensee geahnt haben, dass ein Häuschen mit Blick auf Wasser und viel Wald drumherum ganz schön sein könnte. Als Teil der Gruppe Ulbricht gründete er in diesem Jahr die FDJ – ausgerechnet im ehemaligen Landhaus von Josef Goebbels, das nun FDJ-Hochschule wurde. Auch dort, in der brandenburgischen Schorfheide, hatte Honecker später ein großes Jagdrevier – Tiere abknallen, das war schon immer Hobby der Mächtigen.

Privilegien genossen die deutschen sozialistischen Funktionäre bereits unmittelbar nach Kriegsende, denn sie erhielten „Pajoks“, gesonderte Lebensmittelrationen. Später, im Jahr 1982, ging es allerdings längst nicht mehr um Butter, sondern um regelrecht feudale Dekadenz: Stasi-Chef Erich Mielke schenkte Honecker anlässlich dessen 70. Geburtstags eine klotzige Reetdach-Villa am Drewitzer See, die er für 40 Millionen Ostmark hatte bauen lassen. Mit Sauna und Schwimmbad im Keller – als Zweitjagdsitz. Ceauceşcu war dort zu Gast und auch Breschnew, mit dem Honecker Anfang der Siebziger ausgekungelt hatte, dass er und nicht Walter Ulbricht in Zukunft die Geschicke der DDR bestimmen solle – einig wurde man sich darüber übrigens bei einer gemeinsamen Pirsch im Wald.

Heute ist das ehemals streng bewachte Gelände Drewitzer See frei zugänglich – es ist eine Hotelanlage. In der nächstgelegenen Ortschaft Nossentiner Hütte verweist ein kleines Schild auf das „Van der Valk Resort Drewitzer See“. Nach acht Kilometern Waldweg gelangt man an ein weit geöffnetes Tor, doch die Rezeption ist nicht besetzt – nächste Woche wird das ganze Anwesen versteigert. Die niederländische Van-der-Valk-Hotel-Gruppe war bislang nur Betreiberin der Anlage, die ein Bremer Kaufmann nach der Wende übernommen hatte. Der hatte sich jedoch finanziell übernommen – neues Besitzerin wird nun voraussichtlich die Van-der-Valk-Gruppe.

Im November 2011, zweiundzwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, liegt nun alles verlassen da. Dort, wo früher die Wachmannschaften stationiert waren, ist eine Siedlung mit putzigen Ferienhäusern entstanden. Ein Klein-Wandlitz, der Welt entrückt und unter Bäumen versteckt – fast könnte man sich schon in Schweden wähnen.

Gleich daneben ist der „Angelverein Nossentiner Hütte“ beheimatet. Im kapitalistischen System darf hier nun jeder Fische töten. Wenn er einen Angelschein hat. Heute ist es nur ein einziger alter Mann mit Hut, sein Kahn ankert vor dem ehemaligen Bootshaus, „sie beißen gut“, ruft er aus der Ferne– wenn man nicht wüsste, das Honecker 1994 in Chile verstarb …

Der Blick auf den See ist einmalig, und schaut man die Böschung hinauf, sieht man einen Trumm von einem Haus, gefällig höchstens durch das imposante Reetdach. Der biedere Glamour der DDR, diese Mischung aus kleinbürgerlichem Muff und totalitärem Größenwahn – ein wenig scheint dieser Geist hier noch zu wehen, symbolisiert durch eine kleine grüne Jagdkutsche. Sie gehörte jenem Staatsratsvorsitzenden Honecker, der auch noch „Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates“ war. Die Bezüge ihrer Sitze sind in trutschigem VEB-Polstermöbel-Beige gehalten. Das Gefährt ist der Opel Omega unter den Staatskutschen.

In der Dorfgaststätte der Gemeinde Nossentiner Hütte wird Soljanka gereicht. Die Suppe schmeckt, als gäb es die DDR noch. „Letscho“ ist darin, angebratene Wiener Würste, Zitrone. „Dem Honecker habe ich schon mal persönlich die Hand gereicht“, erklärt ein Mann am Tresen. Er ist um die fünfzig, gelernter Möbeltischler und schon um ein Uhr mittags total blau, „arbeitslos, manchmal 1-Euro-Jobs“, sagt er. Und wie war das mit Honecker?

Tage vor dessen Ankunft sei schon alles abgesperrt gewesen. Aber einmal, so erzählt er mit schwerer Zunge, da sei ihm doch der Kragen geplatzt, weil sogar die Dorfstraße komplett gesperrt war. Der Grund: Honecker war mit dem Fahrrad im Dorf unterwegs, wollte dort kurz rasten. „Da habe ich geschimpft“ – aber schließlich habe Honecker ihn bemerkt. Die Hand habe er ihm gereicht und freundlich gesagt: „Fahren Sie weiter.“ Fast, aber nur fast wäre der Möbeltischler aus Nossentiner Hütte damals zum Widerständler geworden.