Nach Sperma riecht’s hier längst nicht mehr

ABRISS Die letzte Schmuddelecke am Zoo ist bald Geschichte. Ein Rundgang durch Beate Uhse & Co.

„Hier waren diese, äh, Videokabinen, Sie können gerne Ihre Fantasie spielen lassen“

„Ich werde Sie nicht fragen, wer schon mal hier drin war“, sagt die Frau von der PR-Agentur ganz schelmisch, und alle machen „höhö“. Vermutlich eine ganze Menge, es sind nämlich vor allem männliche Medienvertreter erschienen zur Begehung des ehemaligen Beate-Uhse-Hauses an der Joachimstaler Straße, das einem schnieken Neubau weicht und in den nächsten Wochen abgerissen wird. „Hier waren diese, äh, Videokabinen, Sie können gerne Ihre Fantasie spielen lassen“, sagt die PR-Frau noch, und es klingt, also führe sie eine Touristengruppe durch die antiken Bordelle von Pompeji.

In Wirklichkeit war die Flensburger Sex-Klitsche keine zwei Jahrzehnte Mieter in dem travertinverkleideten 50er-Jahre-Bau Ecke Kantstraße – bevor hier Dildos und DVDs über den Tresen gingen, gab es grundanständige Textilien von „Leineweber“, damals, als vom Bau mit der flachen Kuppel gegenüber nicht „Karstadt Sport“, sondern „Bilka“ prangte, als schräg über die Kreuzung ein Gründerzeitkoloss mit dem Schlauchkino „Olympia“ stand und „Teppich-Kibek“ anstelle des Waldorf Astoria.

So richtig melancholisch wird man aber nicht beim Anblick der ausgeweideten Räume, die dann doch nach Betonstaub und nicht nach Sperma riechen und in denen das letzte Element mit Authentizitätskitzel eine, nun ja, klassizistisch anmutende Holztreppe aus dem Baumarkt ist, die einmal die Etagen des sogenannten Erotikmuseums verband. Der Rest sind aufgeschlitzte Deckenverkleidungen und dunkel gestrichene Raufasertapeten.

Auch das ehemalige Aschinger-Haus mit der Blechfassade nebenan, 1973 eröffnet und zuletzt als Billigabsteige – vulgo: Hostel – genutzt, hat wenig atmosphärisches Potenzial, das nostalgische Feuchtigkeit in die Augen treiben könnte. Dabei dürften es Millionen von Berlinbesuchern als eines der ersten Bauwerke wahrgenommen haben, wenn sie am Bahnhof Zoo aus dem Nachtzug stolperten. Im Erdgeschoss brutzelte zuletzt ein „Burger King“ seine Mettfladen, und nur, wer mindestens drei graue Haare sein eigen nennt, wird sich daran erinnern, dass diese Eckgastronomie einmal „Holst am Zoo“ hieß und von einem Hertha-Präsidenten desselben Namens betrieben wurde.

Geschichte ist jetzt auch der verkeimte Arkadengang mit Leihhaus, Wechselstube, Dönerbude und „World of Sex“. Bauarbeiter bereiten schon die Absperrungen vor. Hier soll, wenn nach dem Abriss des schmalen Blocks am Rande der Bahntrasse ein Loch klafft, einer der Kräne stehen, die das neue 130-Millionen-Projekt des Immobilienentwicklers Hines hochziehen. Visualisierungen zufolge wird es weiß sein und an den Ecken rund und mit viel Glas untenrum. Aber lassen wir doch einmal den Investor selbst zu Wort kommen: „Durch die Strahlkraft der Architektur und den lebhaften Nutzungsmix an der stark frequentierten Verbindung zwischen Bahnhof Zoo und Kurfürstendamm kommt der Neubebauung eine hohe städtebauprägende und identitätsstiftende Funktion zu, die durch die ausdrucksstarke Architektur hervorgehoben wird.“

Ende 2017 soll das Ding stehen. „Das ist der letzte Zirkelschluss“, sagt der mit kurzem grauen Mantel und Vollbart angetane Hines-Deutschland-Chef Christoph Reschke bei der Begehung, „die letzte Ecke hier, die so wird, wie es sich gehört.“ Sätze wie dieser klingen mehr nach Ende als nach Anfang, aber, wie gesagt, niemand muss allzu traurig sein: Das Leihhaus ist einfach über die Straße ins Waldorf-Astoria gezogen, statt Videokabinen gibt’s das Internet und Burger King, na ja: Wer braucht schon Burger King? CLAUDIUS PRÖSSER