Krisen locker abgeschüttelt

ÖKONOMIE Ex-“Rentenpapst“ Bert Rürup erklärte, warum die deutsche Wirtschaft die Krisen übersteht. Bremens Konjunktur boomt jetzt schon

Die Eurorettung wird so teuer, „dass sich heute niemand traut, den Preis zu nennen.“

Bert Rürup, Ökonom

„Es geht wie immer um die Krise,“ sagte die Volkswirtschaftlerin Mechhtild Schrooten von der Hochschule Bremen zur Begrüßung. Zum fünften Mal hatten Schrootens Lehrstuhl und das Statistische Landesamt zu ihrem „Konjunkturgespräch“ ins Rathaus geladen. „Drei Jahre nach Lehman – Wie geht es weiter?“ war das Thema. Dazu zu hören war der als „Rentenpapst“ berühmte, aber nicht unumstrittene Berliner Volkswirt Bert Rürup.

Dem war offensichtlich nicht ganz klar, dass es bei Bremen um ein Bundesland handelt. Dafür beruhigte er jene, die sich angesichts der Euro-Krise hierzulande vor einer Rezession fürchten: „Noch vor zehn Jahren galt Deutschland als der kranke Mann Europas,“ sagte er. Doch Rot-Grün habe das Land „modernisiert“ – unter anderem mit Hartz IV. Später habe man sich „erfolgreich aus der Krise herausgekauft.“ Nun sei Deutschland Krisengewinnler und fast unerschütterliche Leitökonomie. Rürup erklärte dies damit, dass Deutschland im Gegensatz zu dem meisten anderen EU-Staaten nach wie vor über viele hochtechnisierte Industriebetriebe verfüge. „Das ist durch nichts zu ersetzen,“, sagt er. Länder, die wie Großbritannien auf den dritten Sektor vor allem Finanzdienstleistungen – gesetzt hätten, „die sitzen in der Grütze.“

Brasilien, China, Indien und andere machten enorme Sprünge bei ihrer Industrialisierung, die Anlagen dafür kaufen sie in Deutschland, so Rürup. Das werde noch mindestens bis 2020 so weitergehen. Er erwarte weder einen nennenswerte Inflation noch einen Verlust der deutschen Exportstärke.

Der Preis freilich, für die bei diesem Szenario vorausgesetzte dauerhafte Rettung des Euros, der werde „so hoch sein, dass sich heute noch niemand traut ihn zu nennen.“

Zumindest für‘s Erste scheint sich die optimistische Einschätzung Rürups in Bremen einzulösen: Die Industrie steht im kleinsten Bundesland erstaunlich gut da, wie das Statistische Landesamt darstellte.

Von Januar bis September setzte sie fast 17 Milliarden Euro – 12,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Zum Vergleich: Die gesamte deutsche Wirtschaft wird im ganzen Jahr 2011 voraussichtlich nur um drei Prozent wachsen.

Die Beschäftigten in der bremischen Industrie profitierten von dem Umsatzschub nur bedingt: Ihre Zahl wuchs um vergleichsweise spärliche 1,7 Prozent. Fast 46.000 Menschen haben durchschnittlichin diesem Jahr einen Job in der bremischen Industrie gefunden.

Sie arbeiten dabei länger als zuvor: Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden stieg bei der gleichen Anzahl von Arbeitstagen um sechs Prozent.

Auch der Tourismus profitiert von der boomenden Binnenkonjunktur: Im September übernachteten rund 170.000 Menschen in bremischen Hotelbetten – der weitaus größte Anteil von ihnen stammt aus dem Inland. Christian Jakob