: Körper
Literaturwissenschaftlerin, Heilpraktikerin, Gestalt- und Paartherapeutin, Dozentin, Autorin, Organisationsberaterin.
In Schwarz gekleidet sitzt Renate Becker in einem der Plüschsessel der Tussy Lounge. Mit Cappuccino, mit Smalltalk wärmt sie sich auf. Ob sie die Tussy Lounge leicht gefunden hat? Wie ihr das Winterwetter zusetzt? Was man so redet, um warm zu werden mit Fremden. Auch Sara Schätzl – Model, Schauspielerin, „It-Girl“, Autorin stimmt ein. Gerade ist Schätzls neues Buch herausgekommen. „Hungriges Herz“, die Geschichte ihrer Bulimie. Schätzl, aufgewachsen in Bayern mit türkeistämmigem Vater und deutscher Mutter, „hallo, ich bin da“, ist keine, die sich versteckt. Jahrelang, darüber wird sie noch sprechen, hat sie sich jedoch unsichtbar gemacht hinter einer Fassade. Schätzl lebt in Los Angeles und ist derzeit auf Lesereise in Deutschland. Als sich auch die Femen-Aktivistin Zana Ramadani, die gegen Frauenunterdrückung protestierte, indem sie sich ihre Parolen auf die Brüste schrieb, dazusetzt, reden alle drauflos.
Vielleicht möchten Sie sich selbst vorstellen.
Zana Ramadani: Mich erkennen die Leute.
Sara Schätzl: Ich erkenne Sie nicht, weil Sie gerade angezogen sind.
Ramadani: In Berlin kennen mich weniger – ich bin gerade hierhergezogen. Ich gehe ja mit vielen Themen an die Öffentlichkeit, auch islamkritischen, deshalb bekomme ich täglich Morddrohungen, das ist nicht lustig. Es sind viele Spinner dabei, aber es muss nur einer es ernst meinen.
Schätzl: Ich bewundere deinen Mut. Ich mach das jetzt mit dem Buch über meine Essstörung zum ersten Mal, dass ich öffentlich bin als ich selbst. Vorher hatte ich so eine Person kreiert, die als Mauer zwischen mir und dem Rest der Welt stand. In meinem Privatleben habe ich überhaupt kein Bedürfnis nach Make-up und Hübschmachen. Ich kann es nicht lange aushalten, geschminkt zu sein, ich finde, das ist wie Dreck in meinem Gesicht.
Ihr Körper war für Sie ein Kunstprojekt?
Schätzl: Eine Kunstfigur. Aufgestylt war ich sehr selbstbewusst, laut, immer gut gelaunt. Privat konnte ich das nicht sein, wäre es aber vielleicht gerne gewesen.
Renate Becker greift Schätzls Buch, fragt, ob es fiktionalisiert ist. Nein, nein, es basiert auf Tagebucheintragungen. Schätzl erzählt, dass sie 2014 an ihrer Essstörung fast starb. Kommt aber in den USA jemand, die wie sie alleinerziehend ist, ihr Sohn ist bald drei Jahre, öfters in die Notaufnahme, wird das Jugendamt informiert. „Und die nehmen dir das Kind weg“, sagt Becker.
Schätzl: Ja. Mein Sohn war für mich der einzige Ansporn, in Therapie zu gehen. Es hat Monate gedauert, bis ich merkte, ich mache es auch für mich. Als ich kapiert habe, dass Selbstwert was ist, was man lernen kann, dachte ich, das muss man jeder Frau, die morgens aufsteht, in den Spiegel guckt und sich nicht mag, doch sagen. Deshalb das Buch. Ich habe es geschafft nach zwölf Jahren Krankheit, ich hatte Bulimie seit ich 14 war.
Wie ist es jetzt mit Ihrer Essstörung?
Schätzl: Auf dem Papier bin ich seit sieben Monaten gesund. Das heißt, ich übergebe mich nicht mehr nach dem Essen. Aber Essstörung ist halt ’ne Sucht. Heute glaube ich nicht, dass ich mich nach dem Essen je wieder übergeben werde, aber ich weiß nicht, was das Leben bringt.
Ist Bulimie wirklich eine Sucht?
Becker: Es ist eine Möglichkeit, wie man auf Essstörung gucken kann. Ich habe einige Betroffene in Therapie. Wenn man auf die Ursachen guckt, stellt sich immer wieder heraus: Kinder, die ohne Mitgefühl aufgewachsen sind, haben es mit der Selbstliebe schwer.
Wie der Titel von Sara Schätzls Buch es sagt: Das Herz ist hungrig, nicht die Frau.
Schätzl: Ich konnte mich vor der Therapie an keinen Tag in meinem Leben erinnern, an dem ich mich selbst mochte. Ich dachte halt, wenn ich ganz dünn bin, dann wirke ich im Außen so zerbrechlich, wie ich mich im Innen fühle und dann kümmert man sich endlich um mich.
Sie sind mit 15 allein nach München gegangen, weil Sie Schauspielerin werden wollten.
31, Gründungsmitglied der Aktivistinnengruppe Femen Germany, die gegen Frauenunterdrückung kämpft, nun parteipolitisch aktiv.
Schätzl: Ja, ich wollte, dass man mich sieht. Ich dachte, wenn jeder mich anschaut …
Ramadani: … dann bin ich da. Und dann bin ich geliebt.
Schätzl: Und man denkt halt, wenn mich alle lieben und anschauen und mein Freund sein wollen, dann ist es endlich gut. Aber es ist nicht so.
Frau Becker, Sie sagten, Kinder, die kein Mitgefühl erlebt haben, empfinden keinen Selbstwert. Warum wird der Mangel am Körper ausgelebt?
Becker: Diese Körperdiskussion muss man in einen kulturellen Zusammenhang stellen. Was ist passiert, dass der Frauenkörper Zielscheibe werden konnte?
Zielscheibe?
Ramadani: Ja, täglich kriegt man das mit.
Becker: Man kann von der Geschichte des Sehens her gucken. Sehen gilt als privilegierter Sinn – schon bei Aristoteles. Und parallel dazu hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine Philosophie und Kultur etabliert, die Körper, Natur und Passivität dem Weiblichen zuordnet. Das männliche Subjekt ist das sehende Subjekt, das bewertende. Und was gucken die Männer an: den Frauenkörper, den nackten. Spannend für mich ist aber die Frage: Wie ist es möglich, dass heute, wo wir so aufgeklärt sind, die gleichen Strukturen immer noch gelten?
Frau Ramadani, bei Femen versuchen Sie, den Blick der Männer auf den weiblichen Körper umzudrehen, indem Sie sagen: Hier ist er, der nackte Körper, den ihr anguckt, aber nehmt ihn mit unserer Botschaft.
Zana Ramadani, ursprünglich Albanerin aus Mazedonien, islamischen Glaubens, ist im Siegerland aufgewachsen.
Ramadani: Bei mir war nicht der Körper das Ausschlaggebende, sondern ich musste überleben in dieser islamischen Familie. Mädchen sind in unserer Kultur nichts wert, weibliche Reize gelten als unrein, Männer als triebgesteuert und was Besseres. Ich wurde als Kind als Stück Dreck bezeichnet. In der Pubertät fing ich an, die Schuldgefühle, die ich deswegen hatte, abzulegen. Da konnte ich aufhören, mich zu hassen, und bin politisch aktiv geworden, war im Gemeinderat, im Tierschutzverein. Dann habe ich mit Femen angefangen. Ich habe also den Körper als Instrument benutzt. Der weibliche Körper ist für mich was Starkes, was Wunderschönes.
Aber gesellschaftlich etwas Schwaches?
Ramadani: Wenn man auf den Körper fixiert ist, dann geht das doch mit ’ner Körperbildstörung einher, wenn du das Gefühl hast, du bist widerlich, du bist fett.
Becker: Das ist ein interessanter Punkt, wo kommen diese Bilder her? Das sind ja verinnerlichte Bilder, wie wir Frauen sind. Mit der Bildproduktion haben wir konkret nichts zu tun. Das ist kulturelles Prisma, das sind kulturell hergestellte Dinge, man kann darüber verzweifeln.
Ramadani: Frauenkörper sind emotionale Identifikationsdinge. Das sind Männerkörper nicht. Die Protestform funktioniert, weil die patriarchale Gesellschaft uns Frauen so nicht sehen will in unserer Natürlichkeit und auch noch fordernd und kämpfend. Sie will uns nur in einer perfekten, sexualisierten, devoten Weise sehen. Macht man’s nicht, löst das Emotionen aus.
37, Webdesignerin und freiberufliche Künstlerin, Vorstandsfrau der Gesellschaft gegen Geschlechtsdiskriminierung.
Welche?
Ramadani: Man beschimpft mich, sagt, ich sei fett, sagt, meine Titten hängen. Okay, ich habe Größe 36, ich bin 31 Jahre alt, die Dinger sind da, sie sind echt und irgendwann hängen sie. Aber dass man mich so beschimpft, zeigt, dass die Leute ein Frauenbild im Kopf haben, das nur ekelhaft ist.
Becker: Natürlich macht man persönliche Erfahrungen bei so einer Aktion, das ist klar. Aber Kultur und Normen sind viel stärker und integrieren diese Protestformen in herrschende Körperbilder und herrschende Strukturen.
Kurz nach 12 Uhr betritt Natalie Rosenke vom Vorstand der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung, einer Organisation gegen die Ausgrenzung dicker Menschen, die Tussy Lounge. Schelmisch trägt sie die Schiebermütze auf dem Kopf.
Man kann also bis jetzt sagen: Frau Schätzl richtet den Körper gegen sich selbst, Frau Ramadani versucht, ihn gegen die Gesellschaft zu richten. Und Frau Becker glaubt, dass es fast unmöglich ist, das herrschende Körperbild der Frau zu ändern.
Ramadani: Man muss die Strukturen von ganz vielen Seiten attackieren. Für mich war Femen wichtig, obwohl ich jetzt ausgetreten bin und wieder parteipolitisch arbeite. Aktiv an den Gesetzen was ändern kann man nur so.
In welcher Partei?
Ramadani: Ich bin in der CDU.
Becker: Oh, das erstaunt jetzt.
Natalie Rosenke mischt sich ein, sagt, dass sie andere Erfahrungen mit Parteipolitik hat. Innerhalb einer Partei wäre es unmöglich, Sehgewohnheiten in Bezug aufs Dicksein zu ändern, da würde sofort was zur Gesundheit hinterhergesagt. Sie aber will, dass der dicke Mensch als Fakt angenommen wird, wie jemand „groß oder klein, schwarz oder weiß, Mann oder Frau“ ist.
Schätzl: Groß und klein ist aber was anderes als dick und dünn. Groß und klein ist normal. Wobei ich sagen würde, zu dünn ist auch nicht normal.
Rosenke: Inzwischen zeigen Studien, dass Genetik beim Gewicht eine große Rolle spielt. Und dass nicht das Gewicht das Problem des dicken Menschen ist, sondern der Stress.
Waren Sie in Ihrem Leben mal schlank?
28, Schauspielerin, Autorin. Zwei Bücher: „Glamourgirl“ und „Hungriges Herz“. Letzteres beschreibt ihren Kampf mit Bulimie.
Rosenke: Ich habe mal 77 Kilo gewogen, sagen wir’s so.
Und heute?
Rosenke: 134 Kilo.
Wenn Sie immer dick waren, hatten Sie dann immer Stress?
Rosenke: Es ist irgendwann eine Entscheidungsfrage: Wie lange lasse ich mir von außen eine Meinung aufdrängen. Das ist Stress. Die Leute fragen ja nicht, wie ich mich fühle, sondern sie sagen mir, wie ich mich fühlen muss. Davon möchte ich weg.
Becker: Das ist wichtig: Wie kommt man aus den vorgegebenen Bildern raus? Das finde ich schier unmöglich. Trotzdem, genau das müssen wir schaffen. Die eigene Wahrnehmung muss so gestärkt werden, dass das Einverständnis von innen kommt.
Schätzl: Ich war zwölf Jahre essgestört. Ich habe an schlimmen Tagen bestimmt das Zehnfache von Ihnen, Frau Rosenke, gegessen, nur habe ich es wieder ausgekotzt, aber das ändert nichts daran, dass ich es gegessen habe, aus Stress, Einsamkeit, Trauer – wir sitzen im gleichen Boot.
Rosenke: Ich finde es gefährlich, abzuleiten, dass jeder dicke Mensch eine Essstörung hätte.
Wie kommt es, dass die Mehrheit, ich gehöre dazu, dick als nicht erstrebenswert ansehen?
Ramadani: Man muss nur den Fernseher anschalten, dann weiß man, warum. Das wird uns so in die Köpfe gehämmert, wie wir aussehen sollen. Deshalb haben wir von Femen auch „Germanys Next Topmodel“ gestürmt. Es geht nicht um Schönheit, es geht um Wertevermittlung. Und das gucken sich kleine Mädchen an.
Ist es nicht wahnsinnig, dass wir uns so am Körper abarbeiten?
Warum die Tussi aus der Tussy Lounge ein Schimpfwort wurde
■ Heldenhaft: Der Name Tussi soll auf Thusnelda zurückgehen, die Gemahlin des Cheruskerfürsten Arminius. Arminius hatte seine Geliebte entführt, woraufhin ihr Vater die Römer alarmierte, die sie zurückraubten und mit einem Römer verheirateten. In Heinrich von Kleists „Hermannschlacht“ lockt Thusnelda diesen Römer in eine Falle, wo er von einer Bärin verspeist wird. Sie ist ganz germanische Heldin. Mädchen wurden nach ihr benannt.
■ Nervig: Doch das Heldinnenbild widerstrebte den Pennälern, die mit der „Hermannschlacht“ als Schullektüre traktiert wurden. Die Heldin wurde zu einer nervenden Frau uminterpretiert. So verständlich der antiheldische Impuls, so patriarchal die Auswahl: Alle Helden bleiben Helden, nur die aktive Frau, die nervt. Eine Rückaneignung in der Persiflage ist in Sicht
Rosenke: Dass wir uns so abarbeiten, ist das eine. Aber im Fernsehen werden dicke Menschen auch bewusst anders dargestellt, als schlanke. Ein dicker Mensch kommt garantiert in einer Esssituation vor – unterlegt mit Sounds aus „Jurassic Park“. Die Message ist klar: Der Dicke ist trottelig, er hat keine Grazie, er ist immer am Essen.
Becker: Wenn Sie sprechen, fällt auf, dass es geschlechterneutral ist. Heidi Klums Show richtet sich dezidiert an Frauen, die werden modelliert. Aber was Sie beschreiben, legt den Schluss nahe, dass es bei Dicken egal ist, ob sie Mann oder Frau sind.
Rosenke: Dicke Menschen werden oft männlich dargestellt, die Geschlechtlichkeit wird rausgezogen.
Becker: Das traut man ihnen offensichtlich auch nicht zu. Da ist ja diese Botschaft mit dabei.
Es gab eine Zeit, in der dicke Frauen als erotisch galten.
Becker: Das wollte ich vorher sagen, Bilder sind kulturell geprägt. In der westlichen Kultur kann man feststellen: Je mehr der Mann angezogen wurde, desto mehr wurde die Frau ausgezogen. In Griechenland hat man nur Göttinnen nackt gesehen, normale Frauen nicht. Ganz anders die nackten männlichen Körper von Kriegern, von Kämpfern. In der Renaissance fängt es an, sich umzudrehen. Das erste Bild, wo ein angezogener Mann einer nackten Frau direkt in den Schoß guckt, hat Tizian gemalt. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich das Bild, dass die Frau gleichbedeutend mit der Natur ist, die sich vor der Wissenschaft, also dem männlichen Blick, entschleiert. Daran kann man sehen, dass die Identifikation der Frauen mit dieser Ideologie verknüpft ist.
Es sitzen hier drei Frauen, deren Geschichte nahelegt, dass sie mit ihren Körpern kämpfen. Auch wenn Natalie Rosenke sagt, sie musste mehr gegen die anderen kämpfen. Da wendet sich Schätzl plötzlich mit der Frage, ob sie männliche oder weibliche Partner hat, an Rosenke.
Rosenke: Männliche.
Schätzl: Schlanke oder dicke?
„Ich habe den Körper als Instrument benutzt. Der weibliche Körper ist für mich was Starkes, was Wunderschönes“
ZANA RAMADANI
Rosenke: Mein letzter Partner war Radrennfahrer und Bogenschütze, also Leistungssportler.
Schätzl: Der Vater meines Kindes ist ein extrem gut aussehender Mann, athletisch und erfolgreich, mit Waschbrettbauch. Ich habe das Extremste vom Genpool rausgefischt, mein Sohn hat seine tolle Hautfarbe, wir haben nicht alles verloren, weil er uns verlassen hat. Aber meinst du, ich habe den einmal angeschaut und gedacht: Mein Gott, macht mich das an, dass du so gut aussiehst. Warum frage ich, interessiert mich der Körper anderer überhaupt nicht, nur mit meinem hatte ich eine Obsession.
Rosenke: Interessant, dass du einen Waschbrettbauch für einen genetischen Vorteil hältst. Auf mich wirkt der modelliert.
Becker: Ist er ja auch.
Frau Schätzl, als Sie Ihre Brüste vergrößern ließen, haben Sie das nicht für den männlichen Blick getan?
Schätzl: Ich sag Ihnen was: Wenn Sie nackt vor einem Mann stehen, wird der nicht sagen: Du hast eine Körbchengröße weniger als erwartet, also tschüss. Ich mag meine Brüste, ich fasse die gern an, die können auch meine Freundinnen anfassen. Ich habe immer auf D-Brüste geguckt und da hab ich sie mir zugelegt. Ist jetzt schon sechs Jahre her, da war ich ein anderer Mensch. Aber jetzt hab ich sie halt.
Sie hatten doch dieses minderwertige Silikon drin.
Schätzl: Das war ein Schock, weil der Schmerz bei der OP schon viel stärker war, als man dir sagt. Ich habe die Implantate dann wechseln lassen und mich entschieden, das Gesicht für diesen Skandal zu sein. Denn viele Frauen konnten sich neue Implantate nicht leisten. Also habe ich mich zusammengetan mit RTL und Bild, hab’ gesagt, macht halt, aber die Honorare gehen in einen Fonds für Frauen, die kein Geld für den Implantattausch haben. Ich hab’ also praktisch ein paar Brüste verschenkt.
„Ich mag meine Brüste, ich fasse die gern an, die können auch meine Freundinnen anfassen. Ich habe immer auf D-Brüste geguckt und da hab ich sie mir zugelegt“
SARA SCHÄTZL
Ihre Geschichten zeigen, was für eine gewaltige Macht, Kraft, ja was eigentlich, da ist, dass wir unsere Körper zu einem Schlachtfeld machen lassen.
Becker: Es sind die Bilder. Das ist so platt wie es faktisch ist. Diese Vorstellungen, die sich historisch entwickelt haben und mit denen wir uns identifizieren. Das sind Inszenierungen von Macht und männlichem Blick. Den können wir nicht so einfach wieder loswerden. Wenn du sagt, dir gefallen die Brüste mit Implantaten, dann könnte man auch sagen: Ja klar, du hast einen Blick von außen verinnerlicht. Ist ja völlig in Ordnung, denn den neutralen oder unschuldigen Blick gibt es doch gar nicht.
Schätzl: Ja, das ist Fakt. Neulich auf einem Empfang, ich hatte ein Kleid an, ohne BH, nicht mit Riesenausschnitt, ich sah nicht aus wie ’ne Schlampe. Da kam ein bekannter TV-Moderator auf mich zu und sagte: Es ist schwer, Ihnen in die Augen zu schauen. Ich drehe mich um, ich sage: Wirklich? Wirklich jetzt? Das ist ja, als schaue ich nur auf Ihren Schritt, sage Junge, Junge und gehe weiter. Da guckt er mich irritiert an. Sag’ ich: Und ich sag’ Ihnen jetzt noch was: Ich habe gerade mein zweites Buch veröffentlicht, und Sie werden es nicht glauben, da sind richtige Buchstaben drin. Da war der sehr verunsichert, und ich habe eine Riesenbefreiung gespürt.
Das wäre ein toller Schlusssatz. Eine hat es geschafft. Nur wie wir aus dem strukturellen Dilemma rauskommen, wie wir Bilder jenseits der kulturell dominierenden finden, zeigt er nicht.
Rosenke: Meine Utopie ist, dass wir da hinkommen, dass der Körper wieder mehr Fühlfläche wird. Die Gesamtgenusswahrnehmung muss zu uns zurückkehren. Wir sollen nicht die Sonne suchen, weil Sonne im Angebot ist, wenn wir den Regen lieben. Sich nichts sagen lassen, weg von wie wir sein sollen, hin zu wie wir sind.
Becker: Also Eigensinn.
Rosenke: Ich würde es so zusammenfassen: Ich bin mehr als mein Körper.
13.18 Uhr: Die „Körper“-Runde macht Selfies.
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