Rückfall in die Konvention

Verpasste Chance: Das Moks spielt mit „Nachtblind“ erstmals auf großer Bühne

Man sagt so oft: Das war ja von Anfang an klar. Wusste man doch schon nach fünf Minuten. Dass sich Leyla und Moe am Schluss kriegen. Dass „der Große“, Leylas gewalttätiger Freund, vorher aber noch mal richtig zuschlägt. Man sagt es oft, und diesmal stimmt es leider: „Nachtblind“, das Erstlingswerk von Darja Stocker, jetzt vom Bremer Mokstheater auf die Bühne gebracht, ist keine sehr fesselnde Produktion. Und insofern Moks-untypisch.

Es ist geradezu ein bisschen tragisch, dass das Moks ausgerechnet mit dieser Premiere erstmals im Schauspielhaus Präsenz zeigt. Die Idee ist, ein neues Publikum zu finden, statt 99, wie an der bisherigen festen Spielstätte, steht im umgebauten, flexibel genutzten Haus immerhin ein Vielfaches an Plätzen zur Verfügung. Eine hochverdiente Ehre für das Moks hier zu spielen, schließlich hat das vierköpfige Ensemble jahrelang zu den kreativsten Produktionen des Vierspartenhauses beigetragen – die auch für Erwachsene den Gang ins kleine Theater oft spannender machten als ins Schauspielhaus. Wie sehr hätte der geniale „Cyrano“ vor Ort eine solche Aufmerksamkeit verdient – die ihm etwa beim Berliner Theatertreffen zuteil wurde.

Nun also „Nachtblind“. Natürlich ist das Stück nicht wirklich schlecht, dafür ist das Moks zu gut – etwa Jochen Klüßendorf als Leylas durchgeknallter Bruder, der, ferngesteuert durch seine Kopfhörer, autistisch durch die Gegend spacet. Aber es ist fürchterlich jugendstückig. Das heißt: Den Figuren mangelt es an Vielschichtigkeit. Der Sprache an Originalität. Der Botschaft an Uneindeutigkeit, dem Einsatz theatraler Mittel an Poesie und Verwandlungslust. Das Stück ist gewalttätig, ohne je die bitterböse Komik von „Max & Murx“ zu erreichen, der genialen Busch-Adaption des Moks, bei der einem sowohl schlecht als auch höchst amüsiert zumute werden konnte. Bei „Nachtblind“ fühlt man sich lediglich informiert – darüber, dass der phantasievolle Moe natürlich auch ein Problem hat, oder dass Leylas Mutter ihre Jugendideale verrät. Tja.

Sicher: Stocker hat für „Nachtblind“ auf dem Heidelberger Stückemarkt den ersten Preis bekommen. Und Regisseurin Franziska-Therese Schütz ist durch ihren „Werther“ eigentlich in positiver Erinnerung. Trotzdem lässt diese Produktion so ziemlich alles vermissen, was das Moks von konventionellen Kinder- und Jugendbühnen abhebt.

Henning Bleyl