Aufklärung nicht bremsen

NSU-AUSSCHUSS Hessens Exjustizminister von Plottnitz fordert, dass die Grünen die Untersuchung vorantreiben

■ 74 Jahre alt, Rechtsanwalt, war in den 90er Jahren unter Rot-Grün in Hessen grüner Vizeministerpräsident und Justizminister.

INTERVIEW ASTRID GEISLER

taz: Herr von Plottnitz, sind Sie zufrieden mit der Arbeit Ihrer grünen Freunde im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss?

Rupert von Plottnitz: Mich hat es ziemlich verwundert, dass sich die Grünen gemeinsam mit der CDU bei der Einsetzung des Ausschusses enthalten haben. Die CDU hat doch seinerzeit sogar für die Untersuchungsausschüsse zur Aufklärung ihres Schwarzgeldskandals gestimmt. Die Annahme, es gebe in Hessen in Bezug auf den NSU nichts Neues mehr herauszufinden, hat sich inzwischen als Irrtum erwiesen. Nach den jüngsten Berichten über abgehörte Telefonate zwischen dem Verfassungsschützer Andreas Temme und seinen Vorgesetzten lässt sich das so nicht mehr aufrechterhalten. Für die Grünen besteht jetzt aller Anlass, als treibende Kraft aufzutreten.

Was erwarten Sie konkret?

Die kritischen Punkte erkennt man inzwischen doch selbst als Zeitungsleser: Warum macht sich der hessische Verfassungsschutz mit solchem Engagement an die Verteidigung seines Mitarbeiters Andreas Temme? Warum rät ein Geheimschutzbeauftragter diesem Beamten, nah an der Wahrheit zu bleiben, statt die Wahrheit zu sagen? Warum fehlt in der Zusammenfassung der abgehörten Telefonate die besonders problematische Passage, in der dieser Geheimschutzbeauftragte gesagt haben soll, er rate, sich nicht an Orte zu begeben, an denen so etwas passieren könne? Diese Fragen müssen jetzt vorrangig geklärt werden.

Aber Ministerpräsident Volker Bouffier spielte doch selbst eine problematische Rolle in der Aufklärung des NSU-Mordes in Kassel. Wie sollen die Grünen als Koalitionspartner da im Ausschuss vorpreschen?

Ich bin mir nicht sicher, ob es richtig ist, Herrn Bouffier zum zentralen Buhmann zu machen. Er hat damals bestimmten V-Leuten keine Aussagegenehmigung erteilt und für Geheimhaltung gesorgt, wo mehr Transparenz richtig gewesen wäre. Aber er hat sich dabei sicher auf dringliche Ratschläge des Verfassungsschutzes gestützt. Ich kann mir gut vorstellen, dass er das heute selbst bedauert.

Bedauern hat Bouffier bisher nicht geäußert. Stattdessen verteidigte er gerade erst seine Entscheidung.

Na ja, er sagt, er habe nach bestem Wissen und Gewissen entschieden. Vermutlich hätten damals alle Innenminister – vielleicht mit Ausnahme von Günther Beckstein in Bayern – genauso gehandelt. Wichtig ist, jetzt die Konsequenzen aus dieser Fehlentscheidung zu ziehen.

Welche Konsequenzen verlangen Sie?

Das Verfassungsschutzgesetz muss geändert werden. Es kann doch nicht sein, dass in einem Rechtsstaat die Geheimhaltungsinteressen eines Geheimdienstes wichtiger sein sollen als die Aufklärung einer Mordtat – vor allen Dingen, wenn es sich um einen politischen Mord wie in Kassel handelt. Das aktuelle Verfassungsschutzgesetz ermöglicht eine solche Geheimhaltung aber ausdrücklich. Das ist aus meiner Sicht der wunde Punkt.

Sollten sich die Grünen im Ausschuss diese Forderung nach Freigabe der Akten und Zeugen zu eigen machen?

Ich will da als ehemaliger Politiker keine Ratschläge geben. Aber ich bin mir sicher, dass die Grünen hier nicht zu den Bremsern gehören werden. Im Gegenteil.