ORTSTERMIN: GEWALTEXPERTEN HEINSOHN UND BUSCHKOWSKY BEIM KÖRBERFORUM
: Gewalttäter – das sind die Anderen

Die Kundschaft fürs Jugendgericht? „Einwandererkinder“, meint Buschkowsky, „Hilfekinder“ meint Heinsohn

Zeitungen rascheln, hier und da wird gewispert. Anzüge, Goldschmuck und graue Haare schillern. Gleich geht’s los im gläsernen „KörberForum“ in der Hamburger Hafencity. Es soll um Jugendkriminalität gehen – und um rechtsextreme Gewalt.

„Es gibt einen Teufelskreis von Stress und Aggression“, erklärt die Psychologin Katja Bertsch, deren Dissertation zum Thema kürzlich den Körber-Studienpreis bekam. Auch soziale Ausgegrenztheit sei eine Stresssituation: „Wenn ein Mensch wieder wahrgenommen werden möchte, kann das zwar zu Aggressionen führen.“ Aber auch das Gegenteil sei möglich. Eine gerade Linie von Diskriminierung hin zu Gewalt könne man nicht ziehen.

„Die Wissenschaft versucht das Geheimnis zu lüften, warum einige Menschen durchdrehen und andere nicht – aber das hilft mir bei meiner Arbeit nicht“, sagt der Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky. Von den im Sommer eingeschulten „Einwandererkindern“ könnten 37 Prozent kaum oder gar kein Deutsch. Für Buschkowsky ist die Linie klar: „Daraus entsteht die Kundschaft für das Jugendgericht“, sagt er im gewohnten Talkshow-Sprech, zum Hamburger Jugendrichter Johann Krieten gewandt. „Die Jugendlichen stehen doch nur vor Gericht, weil die Verwaltung versagt hat“, kontert Krieten Deutschlands bekanntesten Bezirksbürgermeister. Immer wieder geraten die beiden aneinander – zur großen Freude des Publikums: „Also sowas!“, flüstert eine Dame sehr vernehmlich; einem Herrn entfährt: „Idiot!“

Die Ursache für Gewalt sieht der Soziologe Gunnar Heinsohn an anderer Stelle: „Es gibt zwei Millionen Hilfekinder in Deutschland, die nur leben können, weil der Staat den Mitbürgern für sie Geld abnimmt.“ Der emeritierte Professor aus Bremen fordert, dass mittellosen Frauen durch Transfergelder „nicht mehr die Babys bezahlt werden dürfen“. In einem Essay für die Welt schrieb Heinsohn im vergangenen Jahr: „Ungeborene können niemandem einen Baseballschläger über den Kopf ziehen.“ Daraufhin hat die Bremer Bürgerschaft diskutiert, ob seine eugenischen Forderungen eine öffentliche Distanzierung erforderlich machen. Eine Mehrheit gab es dafür nicht.

Ein besonderes Gewaltpotenzial sieht Heinsohn bei vaterlosen Söhnen. Ob ein schlechter Vater nicht schlimmer sei als gar kein Vater, fragt jemand aus dem Publikum. Heinsohn verweist nur auf die Studie „Why Hitler came into power“ von 1938: „Die schlimmsten SA-Schläger wuchsen größtenteils ohne Väter auf, weil die im Ersten Weltkrieg gefallen sind.“ Ein gefährlicher Vergleich, sagt Zuschauerin Dorothea, Jahrgang 1944, hinterher beim Rotwein. „Das war eine ganz andere Zeit, das erklärt doch nicht, warum heute junge Leute gewalttätig sind.“

Tatsächlich gibt es in der Diskussion, anders als angekündigt, keine Bezüge zur Gewalt von Rechts. Dafür erzählt Buschkowsky von Parallelgesellschaften in Neukölln, wo Väter vorlebten, dass Gewalt einem Macht gebe: „Zu Hause, in dem Kulturkreis aus dem diese archaischen Familien kommen, passt dieses System, hier aber nicht.“

Offenbar nichts Neues für eine Dame aus dem Publikum, beim Rausgehen zitiert sie achselzuckend Goethe: „So klug als wie zuvor.“ Eine Medizinstudentin greift sich fassungslos an den Kopf: „Auf die Differenzierungsbemühungen der Psychologin sind die anderen gar nicht eingegangen, die ganze Debatte ist total auf die populistische Sarrazin-Schiene gekommen.“ALEXANDER KOHN