berliner szenen Kleine Männer im Mund

Ansprechende Natur

Sachte segeln die Blätter des Herbstes zu Boden. Ein Duft von frischer Hundescheiße liegt in der Luft, es regnet. Man stolpert jetzt förmlich über die Drogendealer in der Hasenheide. Die Blätter an Büschen und Bäumen sind schon so spärlich, dass man eine gute Sicht auf die vielen Menschen hat, die sonst im Schutz der Blätter ihre Geschäfte abwickeln: Herbst in Neukölln. Ich habe Zahnschmerzen.

Im Prenzlauer Berg sehe ich nicht nur Blätter von den Bäumen fallen, sondern auch an den Stämmen kleben. Kampfstimmung: „Wir sind es den bedrohten und auch den gefällten Bäumen schuldig, uns zu ihnen zu bekennen!“ steht auf einem Blatt. Auf einem anderen finde ich eine Erklärung zu dieser Protestbekundung. 95 Bäume sollen im westlichen Teil vom Prenzlauer Berg gefällt werden. Dieses Blatt ist an den Bezirksbürgermeister Köhne gerichtet und klagt die bisher geschehenen Baumfällungen als Willkür und Übereifer an. Die behauptete Wurzelfäule wäre nämlich als konkrete Gefahr noch gar nicht nachgewiesen. Wurzelfäule, denke ich und erinnere mich an den verpassten Zahnarzttermin.

Vor der TU, dort wo die Hardenbergstraße und die Straße des 17. Juni auf den Ernst Reuter Platz treffen, laufe ich an einer großen Eiche vorbei, an der gearbeitet wird. Ein Mann steht oben in der Krone des Baums und bricht morsche Äste ab, ein anderer weiter unten beschneidet nichtmorsche Äste mit der Kettensäge. Ein dritter sammelt das herunterfallende Holz auf. Davor steht ein Schild. „Baumpflege“ steht drauf. Klingt wie Zahnpflege, denke ich und stelle mir kleine Männer mit Kettensägen in meinem Mund vor. Als ich am nächsten Tag wieder vorbeilaufe steht dort nur noch ein Baumstumpf. MAREIKE BARMEYER