Klingeln bis der Arzt kommt

TELEFONITIS Wie sich die exzessive Nutzung von Handys und Smartphones auf den Körper auswirkt

TEXT JAN WEHN
ILLUSTRATION NELE BRÖNNER

Ton im Ohr

Kennen Sie das? Man liegt gemütlich auf dem Sofa und meint plötzlich, seinen Klingelton zu hören. Um dann festzustellen: Niemand hat angerufen. Phantomklingeln heißt das. Oder auch: Ringxiety.

„Für bestimmte Signale von hoher subjektiver Bedeutung entwickeln wir einen Filter“, sagt Michael Niedeggen, Neuropsychologe an der Freien Universität Berlin. „Er lässt uns auf diese Signale reagieren, während andere Frequenzen heruntergedimmt werden.“ Geräusche mit derselben Frequenz dringen so schneller ans Ohr und ins Gehirn. Dinge, die sich ähnlich anhören – oder anfühlen, Phantomvibrieren gibt es auch –, werden für das Klingeln des Handys gehalten. Das passiert besonders oft, wenn man mit einem Anruf oder SMS-Empfang Positives verbindet – etwa, wenn man verliebt ist.

Negatives: Wer sein Handy als MP3-Player nutzt, muss mit Hörschäden rechnen. In einer Vierzig-Stunden-Arbeitswoche sollte man maximal 85 Dezibeln ausgesetzt sein. Wie laut Handys eingestellt werden können, ist geräteabhängig. Untersuchungen zeigen aber, dass über 100 Dezibel möglich sind.

Blickmonotonie

Das Märchen von den rechteckigen Augen hat wohl jedes Kind zu hören bekommen. Meist im Zusammenhang mit der Fernsehsendung, die man unbedingt noch zu Ende sehen wollte. Oder dem neuen Computerspiel, das es intensiv auszutesten galt.

Auch wenn die Strahlung für die Augen keine Gefahr birgt – der lange Blick auf Handy- und Smartphone-Displays kann schädlich sein. Displays sind mit Computerbildschirmen zu vergleichen, wenn man lange auf sie starrt und den Blick nur selten von ihnen abwendet, werden unsere Augen stark beansprucht. Aufgrund der Blickmonotonie und der Fixierung auf einen Punkt kann sich der Tränenfilm, der die Schleimhaut schützen soll, nicht mehr gleichmäßig verteilen.

Der lange Blick auf den Bildschirm kann deshalb zu Beschwerden wie Kopfschmerzen führen oder zur Verschlechterung der Sehkraft. Besonders die immer kleineren Schriftgrößen auf den Displays bedeuten Stress für die Augen.

SMS-Daumen

Strahlen? Cellbow? Phantomvibration? Wem das Telefonieren allmählich zu gefährlich wird, der weicht vielleicht lieber auf Kurzmitteilungen aus. Obwohl: Übertreibt man es mit dem Tippen von Texten, drohen ebenfalls gesundheitliche Probleme. Und zwar in Form einer Sehnenscheidenentzündung.

Unsere Finger sind für vielseitige Bewegungen ausgelegt. Durch eine monotone Bewegung allerdings werden die Sehnen gereizt, sie verkanten sich immer wieder – so kommt es bei häufigem Bedienen des Handys oder Smartphones zum sogenannten SMS-Daumen.

Ein Phänomen, das nicht nur auf die intensive Handynutzung zurückzuführen ist. Eine Sehnenscheidenentzündung kann auch beim Tippen auf der Tastatur, beim Bedienen der Maus oder durch die Nutzung einer Spielkonsole verursacht werden.

Die Entzündung kann mit Tabletten behandelt werden. Handgelenk und Daumen sollten ruhig gehalten werden.

Kribbeln im Arm

Egal ob Touchscreen oder herkömmliches Tastenhandy – gehalten und telefoniert wird mit der Hand und dem Arm, bedient mit einem Finger oder mehreren Fingern. Viele Handybesitzer klagen deshalb über den schweren Handyarm, der in Anspielung auf die englischen Begriffe für Handy und Ellenbogen auch Cellbow genannt wird.

Der medizinische Terminus für den Cellbow: Kubitaltunnelsyndrom. „An der Innenseite des Ellenbogens läuft der Musikantenknochen entlang, darüber verläuft der Ulnarnerv. Dieser kann sich entzünden, wenn man übermäßig viel mit dem Handy am Ohr telefoniert“, sagt Reinhard Deinfelder vom Verband der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie in Baden-Württemberg.

Denn dabei wird der Arm um mehr als hundert Grad angewinkelt. Meist ist dann im Unterarm ein Kribbeln zu spüren, das sich bis in den kleinen Finger fortsetzen kann. Das Kubitaltunnelsyndrom kann übrigens auch auftreten, wenn man mit angewinkelten Armen schläft. Behandelt wird der Cellbow mit einer Gipsschiene, die ihn ruhig stellt.

Strahlung im Körper

Daran denkt man gleich, wenn es um die Gefahren von Handys und Smartphones geht: Strahlen, die das Gehirn grillen, dumm machen, Kopfschmerzen verursachen und auch noch krebserregend sind.

Eine Gruppe von 31 Fachleuten der Internationalen Agentur für Krebsforschung wertete Anfang Juni alle bisherigen Forschungsergebnisse über elektromagnetische Strahlung, also Handy-, aber auch Radio- oder Radarstrahlen aus. Das Ergebnis: Schreibt man eine SMS oder surft im Internet, hält man das Handy also weiter vom Körper weg, ist der Strahlenfaktor um das Zehn- bis Hundertfache geringer, als wenn man telefoniert und das Handy direkt am Ohr hält. Einen Befund, der den Zusammenhang von elektromagnetischer Strahlung und Krebserkrankungen eindeutig belegt, gibt es allerdings nicht – hierfür fehlen schlicht und einfach die Langzeitstudien.

Schmutzfinger

Schmieriger Film auf dem Touchscreen? Auf dem Smartphone tummeln sich Bakterien. „Das ist ein ganzer Zoo“, sagt Elisabeth Meyer, Ärztin für Hygiene an der Berliner Charité.

Tatsächlich hat eine Studie der Stanford-Universität in Kalifornien gezeigt, dass Touchscreens – von Geldautomaten und von Smartphones – 18-mal so viele Bakterien beherbergen wie der Spülknopf einer öffentlichen Toilette. Britische Forscher haben sogar herausgefunden, das jedes sechste britische Handy mit Fäkalbakterien verunreinigt ist. „Damit diese Schaden anrichten können, muss allerdings, wie bei jeder anderen Infektion auch, erstens ein direkter Kontakt mit den Bakterien zustande kommen, zweitens der Erreger in oder auf den Körper gelangen und drittens die körpereigene Immunabwehr überwunden werden“, sagt Elisabeth Meyer. Wen es trotzdem ekelt, der besorgt sich am besten eine antibakterielle Schutzfolie für sein Display.