: Von Liebe und Politik
PORTRÄT Jenny und Karl Marx – eine typische Ehe des 19. Jahrhunderts? Jenny Marx war konstitutiv für Karl Marx, sagt Ulrich Teusch, und legt ein schönes Porträt vor
VON TANIA MARTINI
Als dunkle Vorausahnung erwies sich, was Bruno Bauer 1841 an seinen damaligen Freund Karl Marx schrieb: „Deine Braut ist fähig, alles mit Dir zu ertragen, und wer weiß, was noch kommen wird.“ Materielles Elend, Exil, politische Niederlagen und private Dramen in verheerendem Ausmaß sollten die fast 40 Ehejahre der Jugendfreunde Karl und Jenny Marx, geborene von Westphalen, prägen. Doch was oft als ungleiche Beziehung und einseitige Leidensfähigkeit qua weiblicher Hingabe gedeutet wird, bewegte Heinrich Böll 1960 zu dem Urteil, der Umgang mit Jenny Marx in der westdeutschen Öffentlichkeit sei beschämend.
Erst im Jahr 1975 erschien – abgesehen von der 1953 erschienen DDR-Biografie von Luise Dornemann – die erste umfassende Biografie über Jenny Marx, geschrieben von Jennys Großneffen Graf Schwerin von Krosigk – Reichsfinanzminister unter Hitler. Dass Jenny Marx nicht bloß für die Reproduktion der ehemännlichen Arbeitskraft gelitten hat, sondern als politische und intellektuelle Frau Frontstellungen in Kauf nahm, dafür muss man noch immer den Beweis führen. Der Politikwissenschaftler Ulrich Teusch hat nun ein kurzes, leicht lesbares Porträt von Jenny Marx vorgelegt, das zwei Aspekte in Jenny Marx’ Leben betont, die Friedrich Engels 1881 in seiner Grabrede für Jenny Marx starkmachte: Die Entschiedenheit und das politische Leiden, mit dem Jenny Marx Teil der sozialdemokratischen und sozialistischen Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts war.
Jenny und Karl Marx waren seit 1843 im Exil, zunächst in Paris, dann in Brüssel und schließlich von 1849 bis an ihr Lebensende in London. Karl Marx war seit 1849 staatenlos, Jenny Marx hätte jederzeit nach Deutschland zurückkehren können, ihre Familie, preußischer Dienstadel, und wohl besonderes ihr Halbbruder Ferdinand von Westphalen, der in der Reaktionsära preußischer Innenminister geworden war, hätten Starthilfe geben können.
Jennys Politisierung und Radikalisierung begann Mitte der 1840er in Paris, wo die Marx’sche Wohnung, wie auch später in London, ein Zentrum für die Emigranten war. In Paris, wo Marx die „Ökonomisch-philosophischen Manuskripte“ verfasste, war es Heinrich Heine, der Jenny bewunderte, und an „so manchem Vers des ‚Wintermärchens‘ hat sie mitgefeilt“, so Teusch. In London war es Wilhelm Liebknecht, der zum engsten Freundeskreis gehörte, und Teusch zitiert ihn: „Frau Marx hatte über uns vielleicht eine noch größere Herrschaft als Marx selbst.“ Am Kommunistischen Manifest (1848) hat sie mitgewirkt, an politischen Diskussionen und Treffen der Internationalen Arbeiterorganisation teilgenommen, und seit den 1870ern schrieb sie Theaterkritiken für die Frankfurter Zeitung, die durch bissige Ironie und exzellente Beobachtungsgabe beeindrucken.
Ulrich Teusch erzählt das alles ohne zu heroisieren, verschweigt nicht die Unstimmigkeiten oder Brüche, die der Biograf oft bloß registrieren kann. Ihm geht es auch darum, ein stimmiges Bild der Beziehung zwischen Karl und Jenny Marx zu zeichnen. Ausgiebig schildert er das Drama um den Verlust dreier Kinder in nur vier Jahren in den 1850ern und zeigt sich verwundert, dass Biografen diesen Erschütterungen nicht angemessen viel Raum zukommen lassen. Die Liebe, sie existiert nicht überzeitlich, nicht außerhalb der Koordinaten des Geworfenseins. Darum weiß Treusch, und deshalb ist sein Versuch, in der Beziehung dieses Paares ein Stück Wahrheit zu finden, nicht peinlich. Persönliches und politische Leid waren in beider Leben eng miteinander verknüpft. Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune 1871 schreibt Jenny Marx an Wilhelm Liebknecht, die „letzten unseligen Ereignisse haben mich völlig erschüttert“, sie sei zu alt geworden, um noch viel zu hoffen. Da sollte sie noch zehn Jahre leben.
■ Ulrich Teusch: „Jenny Marx – die rote Baronesse“. Rotpunktverlag, Zürich 2011, 232 Seite, 19,50 Euro
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