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WENN DIE PLAYSTATION IHREN DIENST VERWEIGERT UND OHNE VORWARNUNG DER FRÜHLING BEGINNTPlötzlich war da ein Loch im Gehirn

von DETLEF KUHLBRODT

Vor vielen Jahren hatte F., ein alter Westraverfreund, mich mal gefragt, gehst du denn noch aus, so, als sei das Ausgehen eine sehr schwierige Angelegenheit, die im Alter kaum noch zu bewältigen ist. Ich hatte gesagt, klar, manchmal; er hatte mich bewundernd angeschaut. Jetzt ist es schon wieder ein bisschen später im Leben, und ich gehe nur noch selten weg und dann eher tagsüber zu Netto, Post oder ins taz-Café als zu den Bastionen des Nachtlebens. Die Gründe sind trivial: Ich bin eine arme Kirchenmaus in der Lebensmitte mit asozialen Tendenzen.

Außerdem ist Winter, und im Winter sitzen wir älteren Jugendlichen gern zu Hause, rauchen uns die Welt schön, trinken Kaffee und denken an die Projekte, an denen wir arbeiten müssten, um aus der Misere zu finden. Im Falle der richtigen Verarbeitung könnte man sein Leben auf ein anderes Level stellen, aber irgendwie glaubt man auch nicht so recht daran, neigt zur Faulheit, und die zielgerichtete Vernunft fehlt bei allem ein wenig.

Obgleich egal, ist das Wochenende anders. In der Woche hat man ein schlechtes Gewissen, wenn man nichts auf die Reihe bekommen hat; am Wochenende ist das erlaubt und okay, und am Nachmittag ist auch schon wieder Bundesliga. Ich esse Kasseler mit Grünkohl und Senf, schaue einen russischen Stream des Schalke-Spiels und höre dabei gleichzeitig die Bundesligakonferenz im Radio. Zum Glück spielt meine Mannschaft gut.

Leider ist meine Playstation kaputtgegangen. Der Sony-Konzern ist schuld daran. Man sollte Sachen updaten, und beim Updaten ist es passiert. Die Konsole hängte sich auf. Ein paar Tage hatte ich fast alle Tricks probiert, die im Internet stehen. Nur diesen Trick, wo man die Konsole ganz auseinanderschrauben muss und dieses eine Teil dann zwanzig Minuten lang in den auf 200 Grad mit Umlaufhitze geheizten Ofen stellen soll, traute ich mich nicht anzuwenden.

Mir fehlte die Playstation. Mir war gar nicht klar gewesen, wie wichtig das Spielen für meine emotionale Balance war. Nun war plötzlich ein Loch im Gehirn, das gefüllt werden musste mit lächerlichen Browserspielen, die ich eher süchtig als genießerisch zwischen zwei Absätzen spielte.

Sonne fürs Serotonin

Ein alter Hippiefreund ruft an. Als ebenfalls suchtorientierter Charakter hat er selbst keine Konsole, leiht sich aber ab und an eine aus. Wir spielen ein paar Stunden, trinken Bier, rauchen, unterhalten uns. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Ich bin stolz darauf, wie gut ich bin, und hatte ganz vergessen, dass Konsolenspiele zu zweit viel mehr Spaß machen als allein. Gut gelaunt gehe ich um halb vier wieder nach Hause.

Am Sonntag hat der Frühling plötzlich begonnen. Außerdem ist Weltfrauentag. Ich gehe raus und esse einen Döner in der Sonne. Wie alle Leute stehe ich ein paar Minuten mit geschlossenen Augen am Ufer und halte mein Gesicht in die Sonne, um die Serotoninproduktion anzuregen. Danach gehe ich zum Späti und kaufe Zigaretten und eine Cola. Vor dem Späti hängt in einem Aufsteller eine BZ mit der Schlagzeile „Mutter von vier Kindern ermordet“. Ich muss lachen. Wer macht denn so was?

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