„Die Lebenswelt bleibt ein Politikum“

Die Soziologin Maria S. Rerrich hat in Hamburg und München „cosmobile Putzfrauen“ interviewt, die zwischen Deutschland und ihren Heimatländern pendeln oder in der Illegalität leben. Gerade die ehemalige Linke müsse sich überlegen, wie sie mit diesem Phänomen umgeht, meint Rerrich

„Was wir heute de facto sehen, ist eine Umverteilung der Arbeit zwischen Frauen“

INTERVIEW DANIEL WIESE

taz: Frau Rerrich, das Thema Putzfrauen betrifft ja inzwischen viele Leute, die nie gedacht haben, dass es sie mal betreffen könnte.

Maria Rerrich: Ich komme ja auch aus so einem Hintergrund. Wir wollten mal die Welt verändern, wir wollten in der Wohngemeinschaft alles ganz anders machen, und jetzt beschäftigen viele von uns Putzfrauen. Was ist da eigentlich passiert? Auch das war ein Anlass für meine Forschungen.

Was sind denn „cosmobile Putzfrauen“?

Cosmobil meint internationale Mobilität in die Metropolen. Die Putzfrauen, die ich untersucht habe, teilen sich in zwei Gruppen. Das sind einmal die Frauen, die zum Beispiel aus Polen nach Deutschland einpendeln, eine Weile bleiben, dann in ihre Heimat zurückgehen und dann wiederkommen.

Die sind dann also nur zeitweise da.

Ja, wobei sich dieses „zeitweise“ Pendeln bis zu 15 Jahre hinziehen kann. Die sind mit einem Bein in dieser Gesellschaft beheimatet und mit dem anderen Bein nach wie vor in ihrer Heimatgesellschaft, die sie auch noch als ihre Heimat sehen. Sie sind also nicht eingewandert, sondern haben das Pendeln als dauerhafte Lebensform.

Auch eine Form der Globalisierung.

So ist es. Das gibt es bei Managern, aber das gibt es auch bei den Frauen, die für die Manager die Hausarbeit verrichten. Die zweite Gruppe, die ich untersucht habe, sind Frauen, die nicht pendeln, sondern die zum Beispiel aus Lateinamerika kommen oder aus Afrika, und die quasi auf gepackten Koffern sitzen, weil sie in Deutschland keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben. Das sind zum Beispiel abgetauchte Asylbewerberinnen oder Au-pair-Mädchen, die ihr Visum überzogen haben und jetzt illegal hier bleiben. Das ist die härtere Variante.

Na ja, bei denen könnte man auch sagen, wenn sie schon nicht legal hier sein dürfen, ist es doch gut, dass sie wenigstens Geld verdienen.

Das ist eine zweischneidige Geschichte, und ich möchte das auch überhaupt nicht in moralischen Kategorien diskutieren. In vielen Fällen gibt es gar keine Alternative zur Putzfrau. Und was gibt es schon für Angebote außerhalb dieses Schwarzmarkts? Der andere Punkt ist, dass das eine Verdienstmöglichkeit ist, und gar nicht mal unbedingt so eine schlechte. Eine Putzfrau bekommt in einer Stadt wie München um die zehn, zwölf Euro die Stunde.

In Hamburg auch.

Frauen verdienen im ungelernten Bereich netto nirgendwo so viel außer in der Prostitution. Und oft ist das die einzige Möglichkeit für diese Frauen, überhaupt einen Job zu bekommen.

Tja, und wo ist dann das Problem?

Es gibt viele Probleme. Das ist eine Lebensform, die Sie und ich für uns sicher nicht als wünschenswert betrachten würden, wenn wir über Monate, zum Teil über Jahre weg von unseren Familien und unseren Freunden getrennt wären. Die Kosten sind im menschlichen Bereich ziemlich hoch.

Bei den Pendler-Putzfrauen ist das klar, aber die anderen sind eben Migrantinnen. Für die ist es doch eine Andock-Möglichkeit.

Die Frauen, die ich untersucht habe, sind ja nicht legal hier. Die trauen sich oft noch nicht einmal bei Rot über die Straße zu gehen, weil sie Angst davor haben, erwischt und dann eben auch ausgewiesen zu werden. Bei dieser Lebensform ist Angst die permanente Begleiterin.

Sie haben auch Putzfrauen in Hamburg interviewt. Was haben die erzählt?

Ein wichtiger Punkt war das Thema Krankheit, die haben hier ja auch keine Krankenversicherung. Wenn die Putzfrauen mal krank sind, müssen sie oft die Zähne zusammenbeißen und warten, bis sie wieder nach Hause kommen, um dort zum Arzt zu gehen.

Und wie leben die cosmobilen Putzfrauen?

Da hab ich in Hamburg alles kennen gelernt, von der netten Zweizimmerwohnung für eine Frau allein bis hin zu Verhältnissen, wo acht Leute in zwei Zimmern wohnen und ordentlich Miete kassiert wurde.

MARIA S. RERRICH, 55, geboren in Budapest, ist Soziologie-Professorin an der Hochschule München.

Dass die Illegalität ausgebeutet wird, kann man sich vorstellen. Aber wie ist es möglich, alleine eine nette Zweizimmerwohnung zu haben?

Es gibt Leute, die über Jahre und Jahrzehnte in diesem Status der Illegalität hier leben, zum Teil auch mit gefälschten Papieren, die so genannte Schein-Legalität ist da auch ein Thema. Und so wie es die Ausbeutung gibt, gibt es auch gelegentlich Unterstützung seitens der Haushalte, für die die Frauen arbeiten. Eine der Frauen hat von ihrem Arbeitgeber seine Eigentumswohnung gemietet, zu ganz normalen Konditionen. Das war die langjährige Putzfrau, der kannte die und hat auf diese Weise dieser Frau geholfen. Aber auch das ist eine zweischneidige Geschichte, das ist ja auch ein paternalistisches Abhängigkeitsverhältnis.

Und was heißt das jetzt für die Leute, die cosmobile Putzfrauen beschäftigen?

Man muss das zum politischen Thema machen. Die Lebenswelt ist und bleibt ein Politikum. Die seriöseste Zahl, die derzeit im Umlauf ist, sagt, dass es in Deutschland bis zu vier Millionen häusliche Beschäftigungsverhältnisse gibt. Die sind jetzt natürlich nicht alle illegale Migrantinnen, da ist auch die deutsche Studentin dabei, die nebenbei noch putzt. Dieses gesamte Feld wird politisch immer nur als Schwarzarbeit diskutiert, aber wenn Sie sich das anschauen, ist das nicht vier Millionen mal individuelles Fehlverhalten, sondern ein Hinweis auf einen Regelungsbedarf in einem Lebensbereich, der bisher sich selbst überlassen wird.

Das Problem entsteht aus dem Vakuum, dass das Verschwinden der Hausfrau hinterlassen hat.

Ja, aber was dabei herauskommt, ist eine neue Form von Frauenarbeit. Das ist ja das Frappierende. Wir haben dreißig Jahre lang diese Debatte über die Umverteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern gehabt. Und was wir de facto viel stärker sehen, ist eine Umverteilung der Arbeit zwischen Frauen.

Statt Mann gegen Frau heißt es jetzt Inländerin gegen Ausländerin.

Es gab vor dreißig Jahren eine Debatte über Lohn für Hausarbeit, und dass der uns heute auf diese Weise gegenübertritt, ist doch seltsam, so hat das niemand gedacht. Hier besteht längst ein politischer Regelungsbedarf. Es kann doch keine Dauerlösung sein, dass wir aus dem Ausland andere Frauen herholen, die hier keine Arbeits- und Bürgerrechte haben und für uns dann diese ungeliebte Arbeit verrichten.

„Cosmobile Putzfrauen auf dem unsichtbaren Arbeitsmarkt“, Podiumsdiskussion der Le Monde diplomatique mit Maria S. Rerrich. Heute, 20 Uhr, Kultwerk West, Große Bergstraße 162, Hamburg Das Buch zum Thema: Maria S. Rerrich, „Die ganze Welt zu Hause – Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten“, Verlag Hamburger Edition, 168 Seiten, 16 Euro