Umzugskartons im Wind

FREIRÄUME Gegen Immobilienhaie, für heimatlose Gentrifizierungsopfer – auf dem Oranienplatz demonstrieren zum wiederholten Male Künstler gegen den Verlust bezahlbarer Arbeitsräume

Aktionen gegen das Ateliersterben gab es schon viele, genutzt hat es bisher wenig. Angesichts steigender Innenstadtmieten wird auch der Platz für Gewerberäume knapp – zehn Atelierhäuser, in denen rund 500 KünstlerInnen arbeiten, sind aktuell bedroht. Oder schon gekündigt, wie das Atelierhaus Erkelenzdamm 11/13. Die Künstler, die Ende März dort ausziehen müssen, tragen schon am Mittwoch schwarz bemalte Umzugskartons aus dem Haus. „Kunst zieht an, nicht aus“ steht auf den Kisten, der symbolische Umzug geht Richtung Oranienplatz. Dort haben sich bereits andere Kistenträger eingefunden.

„Wie ein verspäteter Karnevalsumzug“, lästert einer, der aus Solidarität mit seiner Frau gekommen ist. Auch ihr Arbeitsraum wurde gekündigt, die Miete im neuen Quartier sei viel zu hoch. Doch dann strömen immer mehr Menschen auf den Platz, bis es gut 100 sind. Die Veranstalter hatten im Vorfeld zwar mit 500 TeilnehmerInnen gerechnet. Aber für einen Mittwochmittag, an dem die halbe Stadt bereits durch Streiks des öffentlichen Dienstes lahmgelegt ist, ist die Ausbeute nicht schlecht.

„Jetzt bewegt euch ziellos im Raum“, fordert Florian Schmidt von den Kistentragenden – der Atelierbeauftragte spricht heute für die Initiative „Abba“: „Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser“. Die Kameraleute brauchen Bilder, je symbolträchtiger, desto besser: die Kreativen der Stadt als heimatlose Gentrifizierungsopfer. Freilich zündet das Bild am Oranienplatz nicht so richtig, zu frisch sind die Erinnerungen an die Flüchtlingsproteste auf diesem Platz, zu augenfällig verweisen die Baugeräusche vom Eckbau, in dem bald ein Hotel entstehen soll, auf ganz andere Probleme. Die Künstler aber beharren zu Recht darauf, dass ihr Raummangel pars pro toto für ein Gesamtberliner Problem steht.

„Eine Lawine von Immobilienhaien wälzt sich seit Jahren durch Berlin und walzt die Existenzgrundlagen der Bevölkerung platt“, ruft eine Sprecherin. Berlin brauche auch einen Milieuschutz für Gewerberäume – und eine Politik, die sich dem Ausverkauf der Stadt entgegenstelle. Applaus! Der Wind weht den sorgsam gebauten Turm aus Pappkartons um. Hochsymbolisch, raunt es dazu im Publikum. „Genau das passiert gerade in Berlin!“

Florian Schmidt kündigt an, dass man in den nächsten Monaten 1.001 UnterstützerInnen gewinnen wolle. Zehn politische Akteure sollen Besuch bekommen, mit Kartons und konkreten Forderungen. Wie auf Bestellung formiert sich ein Kranichschwarm direkt über den Protestierenden. Vom Oberdeck des Busses, der am Platzrand hält, ist die Aktion nur noch ein kleiner Punkt im Platzgefüge. API