Pasolinis Assistent

Pilgerreise ins Mekka der Sandalenfilme: Der marokkanische Dokumentarist Ali Essafi hat sein „Ouarzazate Movie“ den Statisten, den Bibel- und Abenteuerfilmen gewidmet

Die Stadt Ouarzazate, die Ali Esafis Film „Ouarzazate Movie“ den Titel gab, ist so etwas wie das marokkanische Bollywood und zugleich die orientalische Außenstelle des amerikanischen Films. Neben den vielen Studios mit niedrigen Personalkosten schätzen ausländische Produktionsfirmen hier vor allem die landschaftliche Kulisse. Verschachtelte Dörfer, die sich an rote Tafelberge schmiegen, zinnenbewehrte Lehmkasbahs in Palmenhainen und im Süden die Sandmeere der Sahara – da wundert sich keiner, wenn plötzlich Maria und Josef mit Esel und Christkind um die Ecke biegen oder die Heiligen Drei Könige nach dem Weg fragen würden. Auf der psychogeografischenLandkarte ist diese Gegend der Bibelgürtel und für das Kino eine orientalistische Multifunktionskulisse.

Hitchcock, Pasolini, Huston, Welles, Lean, Scorsese, Scott und Stone – das sind nur die prominentesten Regisseure, die hier schon gedreht haben. „Lawrence von Arabien“, „Sodom und Gomorra“, „Himmel über der Wüste“, „Kundun“, „Gladiator“, „Königreich der Himmel“, „Die Mumie“, „Asterix und Obelix“ und „Babel“ – so heißen die filmgeschichtlich mehr und weniger bedeutenden Resultate. Nicht zuletzt eine Flut von Bibelserien im TV und billig produzierte Historiendokus haben Ouarzazate zum Mekka der Sandalenfilmerei gemacht. Hier wurden die Schlachten Homers ebenso nachgespielt wie diejenigen der jüngsten Golfkriege; und dreimal darf man raten, wo ein Film namens „Black Hawk Down“ abgekurbelt wurde – jedenfalls nicht in Somalia. Große Stars und mediokre Filmcrews sind an und wieder abgereist, geblieben sind über all die Jahre die Einwohner der Stadt. Die hängen nun seit einem halben Jahrhundert am Tropf der Filmproduktion, und manche schlagen sich das ganze Jahr als Statisten durch.

Erst jetzt sind sie endlich selbst zu Hauptdarstellern eines Films geworden. Ali Essafi, der in Casablanca lebt und als wichtigster Dokumentarfilmer seines Landes gilt, hat die Kamera umgedreht und die Produktion selbst ins Auge gefasst. Sein wunderbarer Dokumentarfilm „Ouarzazate Movie“ ist jetzt in der Reihe „Meeting Points 5“, das die Kunstszenen arabischer Städte vernetzt, im Hebbel am Ufer zu sehen. Er zeigt die Bürger von Ouarzazate wie sie jeden Morgen zum Set pilgern, um sich auf einer Tribüne von Castingleuten mustern zu lassen. Morgens werden junge Männer mit heller Haut gesucht, erst nachmittags die Dunkelhäutigen. Am kommenden Tag sind dann die Frauen dran. Einmal kommen nur solche mit nachgewiesener Filmerfahrung zum Zug, bei Massenszenen geht es weniger exklusiv zu. Und einige, wie Mohamed Jaarane, der seine Verträge per Fingerabdruck unterzeichnet, haben schon in den berühmtesten Filmen mitgespielt. Als Pasolini hier war, so berichtet er, war er dessen persönlicher Assistent und schlief sogar mit ihm in einem Zimmer. Gelaufen sei da aber nichts, Jaarane ist Familienvater und hat von seinen Einkünften ein Haus gebaut.

Nun ist es nicht etwa so, dass man in dieser Stadt voller Schauspieler abends ins Kino ginge. Ein Kino gibt es in Ouarzazate schon lange nicht mehr. Es zählt ja auch vor allem die Familie. So trifft man sich zu Hause vor dem Videorekorder, um einen Film vor- und zurückzuspulen, den zwei schwedische Touristinnen im Fernsehen mitgeschnitten und hiergelassen haben. Die Sache erscheint nun in einem speziellen Licht; nicht als cineastischer Meilenstein, sondern als bewegtes Familienalbum. Das hier – Jaarane drückt mit dem Finger auf die Mattscheibe –, das ist die süße Malika, und das ist Warda, mein Cousin. Hier Omar, da Mustafa, und das da, das bin ich! Spiele schon wieder einen Philister. Und wie, so fragt ein anderer, wie hieß doch gleich der Typ, für den wir damals „Lawrence von Arabien“ gespielt haben? Niemand erinnert sich. Aber egal. RONALD DÜKER

„Ouarzazate Movie“ von Ali Essafi läuft am 25. und 28. November, jeweils um 17 Uhr im HAU1.