Sorge vor Wildwuchs

ENERGIEWENDE Das Land Schleswig-Holstein tut sich nach einem Gerichtsurteil schwer, juristische Sicherheit für die weitere Standortsuche für neue Windparks herzustellen

In Schleswig-Holstein spielt die Herstellung erneuerbarer Energie, vor allem aus Windkraft, eine immer wichtiger Rolle:

■ Rund 60.000 Menschen arbeiten in der Branche, allein das Energieeinspeisungsgesetz (EEG) brachte 2014 über eine Milliarde Euro ins Land.

■ Die Regierung will 1,8 Prozent seiner Landesfläche, etwa 24.000 Hektar Land, für den Bau von Rotoren öffnen. Zurzeit sind es weniger als 1,5 Prozent.

■ Besonders an der Westküste ist das Interesse an weiteren Windparks groß. In vielen Orten sind „Bürgerwindparks“ entstanden. Vorteil: So profitiert nicht nur der Landbesitzer, sondern alle EinwohnerInnen, die Geld geben. EST

VON ESTHER GEISSLINGER

Schleswig-Holstein produziert seinen Strom selbst: 2014 gelang es zumindest rechnerisch erstmals, das Land mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern aus selbst erzeugtem Windstrom zu versorgen. „Die Menge soll sich verdreifachen“, kündigte Umwelt- und Energieminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag in Kiel an. Dafür muss die Regierung aus SPD, Grünen und SSW ein planerisches Problem lösen: Im Januar erklärte das Oberverwaltungsgericht in Schleswig das bisherige Verfahren des Landes, um neue Standorte für Windräder zu finden, für hinfällig.

Mit dramatischen Folgen, sagt Tilman Giesen, Verwaltungsrechtler und juristischer Berater des Landeverbandes Windenergie, dem Windmüller und Windparkbetreiber angehören: „Als sei die Straßenverkehrsordnung aufgehoben: Die einen fahren weiter auf der rechten Seite, die anderen links – und auf der Kreuzung kracht’s.“ So schlimm sei es nicht, widersprach Ernst Hansen, Leiter der Landesplanungsabteilung: „Noch gelten die alten Pläne nach. Wir versprechen: Wildwuchs wird es nicht geben.“ Aber geschehen muss etwas, da sind sich alle Beteiligten einig. Denn zurzeit herrsche Unsicherheit sowohl für alle, die Windparks errichten wollen als auch für Gegner neuer Rotoren.

Rainer Christiansen, Landesvorsitzender des Windenergieverbandes, warnt davor, dass im rechtsfreien Raum „Investoren mit auswärtigen Planungsbüros vorpreschen, die das Land nicht so im Blick haben“. Der Verband schlägt daher einen Ansatz vor, der dem Beispiel anderer Bundesländer folgt. Bisher erklärte die Kieler Landesplanung Regionen zu „Windeignungsflächen“, auf denen gebaut werden durfte. Flächen außerhalb der „geeigneten“ waren aus dem Rennen. In Zukunft solle eine Region zur „Windvorrangfläche“ erklärt werden – die Landesplanung stellt damit einen Wunschzettel auf, den Gemeinden in ihrem Zuständigkeitsgebiet verschieben können, wenn keine Gründe wie Naturschutz oder Bürger-Voten dagegen sprechen. Damit würden Streitigkeiten verringert werden, und auf unstrittigen Flächen könnte schnell losgebaut werden, hoffen die Windmüller.

Der Fachmann der Landesplanung fand den Vorschlag „interessant“, sah aber juristische Bedenken: Erstens habe das Gericht dem Land aufgegeben, die Planung nicht in die Gemeinden zu verlagern. Zweitens sei der Vorrang ein „scharfes Schwert“, der sich im betreffenden Gebiet stets durchsetze. In einigen Monaten soll ein Konzept vorliegen, wie es weitergeht. Zurzeit prüft die Regierung, ob sie rechtlich gegen das Urteil vorgehen will.