hamburger szene
: Zusammenrücken

Es war früh und sehr kalt und beim Auspacken der Ware wurde jede Frucht, die aus mutmaßlich wärmeren Breitengraden stammte, von mir um ihre Herkunft beneidet. Birnen aus Italien, Clementinen aus Spanien, Bohnen aus Kenia und Maronen aus Frankreich – mit all diesen kam ich meiner Kollegin und ihren Vierländer Zucchini in die Quere.

„Tja, da werden wir wohl alle mal ein wenig zusammenrücken müssen“, sagte ich. Sie hatte offenbar auch an diesem Morgen die Bild-Zeitung gelesen und erwiderte: „Zusammenrücken? Ohne mich, guck dir doch mal an, was sie mit dem armen Marco getan haben.“

Allgemeine Empörung machte sich breit ob des unerhörten Wunsches der Türkei, trotz des Falls des armen Marcos in die EU zu dürfen, „Mittelalterlich ist das da!“, sagte einer und: „Der arme Marco! Der wird bestimmt schwul wenn der da rauskommt, der fasst doch nie wieder ein Mädchen an!“

Ich wollte der Diskussion die nötige Disziplin verleihen und lenkte sie vom Schicksal des armen Marco auf die durchaus ja auch armen Armenier, deren Völkermord durch das Osmanische Reich ja auch noch der Anerkennung harre. „Genau“, wurde mein Einwand aufgegriffen, „ich mein’: Wir mit dem Holocaust leiern das rauf und runter, dann sollen die auch mal ihren Völkermord anerkennen.“ Ich nahm an der Unterhaltung nicht weiter teil, wandte mich ab und packte die türkischen Trauben aus.REBECCA CLARE SANGER