Gift und Bomben vor den Stränden

WELTKRIEGSMUNITION Neue Untersuchung vermutet 1,6 Millionen Tonnen Sprengstoff und Chemiewaffen in Nord- und Ostsee. Experten beraten über Gefahren – und nun auch über eine mögliche Bergung

„Diese Stoffe gehören nicht in unsere Meere“

Jens Sternheim, Innenministerium

Mehr als 65 Jahre nach Kriegsende lagern noch immer gewaltige Mengen Bomben und Munition in Nord- und Ostsee. Allein in den deutschen Hoheitsgewässern werden mindestens 1,6 Millionen Tonnen konventionelle und weitere 5.000 Tonnen chemische Kampfmittel vermutet. Das ergab die Bestandsaufnahme einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern, die am Montag in Hamburg vorgestellt wurde. Diese Schätzung sei aufgrund der unklaren Datenlage besonders für die Ostsee aber wenig belastbar, heißt es in dem rund 1.100 Seiten starken Bericht.

Eine großräumige und akute Gefahr gehe von den Kampfmitteln nicht aus, wohl aber eine latente und kleinräumige. „Diese Stoffe gehören nicht in unsere Meere“, sagte Jens Sternheim vom schleswig-holsteinischen Innenministerium.

Über die chemische Munition wissen die Experten relativ gut Bescheid. Es handelt sich im wesentlichen um 90 Tonnen Artilleriegranaten mit dem Nervenkampfstoff Tabun, die vor Helgoland versenkt wurden, sowie 5.000 Tonnen Bomben und Granaten mit Phosgen und Tabun im Kleinen Belt. Falls die Metallgehäuse der Bomben durchrosten und die chemischen Wirkmittel frei werden, verbinden sie sich relativ schnell mit Wasser zu harmlosen Stoffen.

Die konventionelle Munition enthält Sprengstoff oder Brandmittel, die sich nicht so leicht abbauen. Noch heute werden vor Usedom häufig Brocken von weißem Phosphor aus Brandbomben angeschwemmt. Er ist leicht mit Bernstein zu verwechseln und kann Brandverletzungen hervorrufen.

„Es gibt keinen Grund zur Hysterie, aber auch keinen Grund zur Verharmlosung oder Beschönigung“, sagte Sternheim. Eine latente Gefahr gebe es vor allem für Schleppnetz-Fischer oder bei Bauvorhaben wie der Ostsee-Pipeline oder Offshore-Windanlagen. Nun wollen Bund und Länder weitere Informationen sammeln und auch darüber beraten, ob Munition geborgen werden soll. (dpa/taz)