Ein Tisch, ein Schlauch, ein Teddybär

TANZTHEATER Zwischen Stadt und Wald: Die Company Ingun Bjørnsgaard Prosjekt zeigte „Omega and the Deer“ zum Abschluss des Nordwind Festivals im Radialsystem

Die Erste schiebt sich unruhig über den Tisch, purzelt herunter, das tut doch weh

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Schüchterne Hände, aggressive Füße: Den drei Tänzern der norwegischen Company von Ingun Bjørnsgaard ist das Zögern und Zaudern in die Körper eingeschrieben in dem Stück „Omega and the Deer“. Die Ellbogen klemmen oft nah am Körper, die Knöchel sind wackelig, die Knie zeigen nach innen, und dort, wo die Bewegungen nach außen drängen, scheinen sie auf unsichtbare Hindernisse zu treffen.

Vor allem Hände, die berühren wollen, bleiben in der Luft stecken, sichtbare Zentimeter entfernt von dem Körper, dessen Nähe sie suchten. Die drei Tänzerinnen hingegen, die den Männern in einer von unheimlichen Geräuschen geprägten Kulisse begegnen, sind von einer hyperaktiven Spannung durchdrungen. Ein nacktes Bein schnellt unter dem kurzen roten Kleid der Blonden vor wie zum Karatekick, höher noch, wie ein Spagat in der Senkrechten, dann setzt sie einen Fuß auf die Schulter ihres Partners, eine Berührung und auch ein deutliches Abstandhalten. Aber der Entschiedenheit dieser Gesten zum Trotz laufen auch die Frauen immer wieder ins Leere, vorbei an den möglichen Konstellationen.

Mit dem Stück der norwegischen Choreografin, das am Wochenende im Radialsystem gastierte, endete die Berliner Aufführungsserie des Nordwind Festivals, auf Kampnagel in Hamburg geht es weiter. Die Company von Ingun Bjørnsgaard wird außerdem zwei Tage in der Fabrik Potsdam auftreten, am 7. und 8. Dezember.

Bjørnsgaard, die seit der Gründung ihrer eigenen Company 1992 achtzehn abendfüllende Stücke entwickelt hat, ist in Norwegen eine anerkannte und populäre Choreografin. Doch in Berlin ist sie beinahe ebenso nur Insidern ein Begriff wie viele der oft um eine Generation jüngeren Performer aus den skandinavischen und baltischen Ländern, die Ricarda Ciontos für das Nordwind Festival ausgewählt hat. Das Festival war durchweg gut besucht, im Publikum hörte man ebenso viele unterschiedliche Sprachen wie unter den über 100 eingeladenen Künstlern.

Mit sparsamen Mitteln, ein paar Papiergirlanden, ein paar losen Brettern, auf die Bilder von Wald und Gärten, von Wasser und Unterholz projiziert werden, und mit einem Tisch deutet das Bühnenbild von „Omega and the Deer“ eine Szenerie an der Schwelle von Stadt und Land, von Urbanität und Wald an. Dass im Dunkeln, im Draußen Kräfte stecken, die jederzeit unheimliche Verwandlungen hervorbringen und die Identität, für die es im Hellen und Drinnen Regeln gibt, zerlegen können, zog sich übrigens durch viele der Nordwind-Stücke, als sei das Mythische ebenso wie das Klischee eine nie zu Ende erzählte Geschichte. Und obwohl das archaisch anmutet, schlug es sich doch in sehr zeitgenössischen Figuren und Situationen nieder.

So haben die verfehlten und verpassten Beziehungen und die Exzesse von Einsamkeit, um die es in Bjørnsgaards Choreografie geht, aller Vagheit zum Trotz – oder auch gerade deshalb etwas, das zum Psychogramm der Gegenwart passt. Rollenmuster sind aufgebrochen, erwartbare Handlungsmuster werden kritisch beäugt, nirgendwo ist ein Garant für Sicherheit zu sehen. Fast niemand unter den von der Company verkörperten Figuren scheint ganz bei sich in seinem Wünschen und Sehnen, immer spricht da durch den Körper noch etwas anderes mit, das sich quer zum Eigenen verhält. So bewegt sich „Omega and the Deer“ zwar in einem vom Tanztheater schon lange abgesteckten Feld, dem von Beziehungen und Geschlechtern, aber akzentuiert die Rollen durch den Duktus der Bewegungen oft anders: seltsam, skurril, verführerisch. Dass sie dabei auch das klassische Vokabular von Sprüngen, Drehungen, Hebungen neu ausdeuten und manchmal auch virtuos, fällt nebenbei auch auf.

In einer Szene ist jede der drei Tänzerinnen allein, ein Tänzer schaut ihnen zu wie das Publikum. Die erste schiebt sich, wie im unruhigen, unbefriedigten Schlaf über den Tisch, über die Kante, purzelt herunter, das muss doch wehtun, ungerührt klettert sie wieder hoch. Die zweite hantiert mit einem Gartenschlauch, somnambul, obsessiv, knapp am Pornografischen vorbei. Der dritten schaut bei ihren sehr kleinen Bewegungen ein großer Teddybär auf den Schoß. Das Nicht-zu-Rande-Kommen mit den eigenen Wünschen erzeugt merkwürdige Verhältnisse, Dinge rücken dahin, wo eigentlich soziale Kontakte gefragt sind. Ein Tisch, ein Schlauch, ein Teddybär. Glück sieht anders aus.

■ „Omega and the Deer“. 7. und 8. 12., Fabrik Potsdam. 10. und 11. 12., Kampnagel Hamburg