Neue Modelle für die Lehre

Deutsche Hochschulen brauchen mehr Lehrpersonal. Der „Hochschulpakt“ stellt Fördermittel zur Verfügung. Das Profil für „Lecturer“ oder „Lehrprofessuren“ ist bislang aber noch umstritten

VON LARS KLAASSEN

Der Massenbetrieb an vielen deutschen Hochschulen ist berüchtigt. Auch die häufig schlechte Betreuung der Studierenden steht in der Kritik. Nicht zuletzt solche Mängel haben zur Folge, dass die Abbrecherquote in einigen Fächern auf bis zu 46 Prozent angestiegen ist. Dabei stehen die quantitativen Herausforderungen erst bevor: Der Deutsche Hochschulverband (DHV) rechnet mit einem Anstieg der Studierendenzahlen von zwei auf 2,7 Millionen. Vor allem für die Jahre 2012 bis 2014 wird ein deutlicher Anstieg erwartet. Gleichzeitig haben Unternehmen und Gesellschaft einen steigenden Bedarf an akademisch qualifizierten Arbeitskräften. „Die Größe und Komplexität der Herausforderungen machen es unumgänglich, grundsätzliche und mutige Veränderungen anzugehen“, mahnt Peter Strohschneider, Vorsitzender des Wissenschaftsrates.

Im Rahmen des Bologna-Prozesses, der einen einheitlichen europäischen Bildungsraum als Ziel gesetzt hat, wurde bereits begonnen, die Lehre auf neue Füße zu stellen: Alle Abschlüsse sollen bis 2010 auf Bachelor-/Master- Struktur umgestellt sein. Doch bei der Einführung zeichnet sich bereits ab, dass die Lehre in vielen Bereichen betreuungsintensiver wird. Dazu die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan (CDU): „Nur wenn die Bachelorphase durch ein Tutorensystem begleitet wird, wird ein gutes Studium möglich.“ Abhilfe soll der „Hochschulpakt“ schaffen: Bund und Länder haben sich im Juni darauf geeinigt, den deutschen Hochschulen mehr Geld für die Lehre zur Verfügung zu stellen.

Über den Hochschulpakt soll deutschen Universitäten ermöglicht werden, bis 2010 insgesamt 91.370 zusätzliche Studienanfänger gegenüber 2005 aufzunehmen. Der Bund stellt für die Finanzierungsraten bis 2010 rund 565 Millionen Euro zur Verfügung, die Länder garantieren die Gesamtfinanzierung. Diese für die Lehre bereitgestellten Mittel reichen nach Meinung vieler Beobachter – von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) bis zu Studierendenvertretern – aber bei weitem noch nicht aus, um Abhilfe zu schaffen.

Vor allem qualifiziertes Lehrpersonal wird dringend benötigt, um adäquate Lehrangebote garantieren zu können. Im Schnitt betreut ein Hochschullehrer laut DHV heute 60 Studierende – also zu viele. „Diese Relation ist eine der wichtigsten Indikatoren für die Qualität von Forschung und Lehre“, betont DHV-Präsident Bernhard Kempen. Ein Problem der Hochschulen ist bislang, dass sie arbeits- und dienstrechtlich nur einen kleinen Spielraum für die befristete Einstellung von Dozenten haben. Das kann sich nun ändern. Im Zuge der Föderalismusreform haben die Bundesländer die Möglichkeit erhalten, den Universitäten einen neuen gesetzlichen Rahmen zu verschaffen. Was nun auf der Agenda steht, ist die Schaffung neuer Personalkategorien.

Zum Schlagwort ist im Laufe der Debatte der Begriff „Lecturer“ geworden. Er bezeichnet eine solche Personalkategorie, die sich vorwiegend oder ausschließlich der Lehre widmet. Die Einführung des Lecturers unterhalb der Professorenebene hat der DHV bereits im vergangenen Jahr „grundsätzlich begrüßt“ – und einige Eckpunkte zur Diskussion gestellt, die das Profil umreißen. Unterhalb der Professur angesiedelt, wären Lecturer Teil des akademischen Mittelbaus. Ihr Lehrdeputat läge deutlich höher als bei Universitätsprofessoren.

Befürwortet wird dieses Modell unter anderem von Bildungsministerin Schavan. Sie hat angeregt, bundesweit 3.000 Lecturer-Stellen einzurichten. Über zentrale Punkte besteht nach wie vor jedoch keine Einigkeit: etwa die Zugangsvoraussetzungen, Aufstiegsmöglichkeiten und auch die Frage, ob Lecturer-Stellen befristet oder unbefristet vergeben werden sollen. Würden Lecturer befristet und ohne klare Karriereperspektiven angestellt, so wäre dieses Modell voraussichtlich wenig attraktiv für kompetente Nachwuchswissenschaftler. Es droht dann eine Negativauslese. Umgekehrt besteht bei unbefristeter Vergabe die Gefahr, dass sich Lehre und Forschung auf Dauer auseinanderentwickeln. Als Gegenmodell hat der Wissenschaftsrat im Januar dieses Jahres eine neuartige „Professur mit Tätigkeitsschwerpunkt Lehre“ vorgeschlagen. Die Tätigkeit eines Lehrprofessors soll zu einem Drittel der Forschung und zu zwei Dritteln der Lehre gewidmet sein. Finanziell soll für eine solche Stelle die gleiche Ausstattung an Personal und Sachmitteln zur Verfügung stehen wie für bisherige Professuren. Zugangsvoraussetzung könnte eine vorherige „Juniorprofessur mit Schwerpunkt Lehre“ sein. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die HRK und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) haben das Modell begrüßt.

Angesichts knapper öffentlicher Kassen könnten Stellen für Lecturer oder Lehrprofessoren derzeit vermutlich nur durch Umwidmung geschaffen werden. Der Wissenschaftsrat schlägt vor, 20 Prozent aller freiwerdenden Professuren als Lehrprofessuren neu auszuschreiben. Dadurch würden ohne finanziellen Mehraufwand die Lehrkapazitäten der Hochschulen deutlich gestärkt. „Solch eine Umwidmung löst das Problem mangelnder Ausbildungskapazitäten bei steigenden Studierendenzahlen jedoch allenfalls an der Oberfläche“, kritisiert Ulrich Thöne, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. „Die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Lernenden wird sich auf diesem Weg verschlechtern.“

Um die Lehre aus dem Schatten der Forschung herauszubringen, fordert der Stifterverband ein Pendant zu den DFG-Fördermitteln für Forschung – eine „Deutsche Lehrgemeinschaft“. Gute Lehre braucht gutes Geld, „eine systematische und verlässliche Drittmittelförderung für innovative Lehr- und Studienreformprojekte“, sagt Bettina Jorzik, Programmleiterin Lehre beim Stifterverband: „Die bisherigen Investitionsprogramme zu Gunsten der Lehre wie beispielsweise der Hochschulpakt oder auch die Hochschulsonderprogramme der Vergangenheit sind zeitlich befristet; die Verteilung der Fördergelder orientiert sich weniger an Qualitäts- als vielmehr an Versorgungsgesichtspunkten und erfolgt nicht nach wettbewerblichen Kriterien.“

Neben einer Strukturreform könnte eine Institution wie die Deutsche Lehrgemeinschaft nicht nur Geld zur Verfügung stellen, sondern vor allem einen dringend notwendigen Bewusstseinswandel fördern. Eine Rückbesinnung auf Humboldt ist geboten: Neben der Forschung gehört die Lehre zur Kernaufgabe jeder Universität.