Olfaktorischer Selbstversuch

SCHNAPS Beim vierten Craft Spirits Festival präsentieren wieder junge UnternehmerInnen das Handwerk des Brennens und Destillierens. Unter ihnen auch die Preussische Spirituosen Manufaktur Berlin. Ein Hausbesuch

Unter Craft Spirits versteht man handwerklich produzierte Spirituosen. Eine ganze Bewegung junger Brenner und Destillateure hat dieses alte Handwerkswissen wiederentdeckt. Auf dem Festival in Kreuzberg präsentieren nun zum vierten Mal kleine Unternehmen neue Brände aus kleinen feinen Produktionen und bieten damit den Spirituosen-Multis die Stirn.

■ Craft Spirits Festival: Heeresbäckerei, Köpenicker Str. 16/17, Sa., 21. 3., 14–22 Uhr, So., 22. 3., 13–19 Uhr, Tageskarte 8/10 €, 2-Tages-Karte 13/16 €

VON HARRIET WOLFF

Zum Schluss landen wir im Drogenkeller. Dem Herzstück. In Behältnissen aus edlen Tropenhölzern – vielleicht liegt es am zuvor verkosteten Wodka, dass sie einem scheinen wie Hutschachteln für Zylinder – lagern beste Rohstoffe, daneben zergehen Zitwerwurzeln auf der Zunge. Zergehen ist das falsche Wort, die Chose ist steinhart und endet bitter. Und es kommt noch bitterer im Drogenkeller. Gerald Schroff, dessen Nachname auf eine bärbeißig charmante Art bei ihm Programm ist, offeriert als krönendes Finale getrocknete Enzianwurzel. „Einer unser wertvollsten Rohstoffe, wohl bekomms!“ Andächtig wird mit der Heidi-Reliquie auf der Zunge dem angekündigt späten und auch wirklich sehr bitteren Abgang nachgespürt.

Er macht was mit einem und der eigenen Wahrnehmung, der Besuch im Wedding bei der Preussischen Spirituosen Manufaktur, die unscheinbar auf dem Gelände der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei liegt. Dort werden, unter dem Dach des Instituts für das Gärungsgewerbe und ununterbrochen seit 1874, Duft- und Geschmacksstoffe aus reinen Naturprodukten gewonnen und anschließend in verschiedenen Prozeduren zu exquisit Hochprozentigem verarbeitet.

Die Drogenduftorgel

Im Regal des Lehrsaals steht possierlich aufgereiht die „Drogenduftorgel“ mit Rharbarberwurzel und Zimstangen, mit all den Blüten und Kräutern, Wurzeln, Rinden und Samen, rund 240 an der Zahl und in kleinen Glasgefäßen. Und selbst die alten, auf vergilbtem Papier und mit Feder notierten Geheimrezepte existieren noch im Giftschrank der Manufaktur. Heute beschäftigen Schroff, gelernter Hotelier und Barmann, und Professor Ulf Stahl zwei Lehrlinge, die zum Destillateurmeister ausgebildet werden. Alkohol selbst wird nicht gebrannt in der Manufaktur. „Der Professor“, wie ihn Schroff kurz angebunden, aber durchaus liebevoll nennt, ist Gärungstechnikspezialist und Mikrobiologe und gilt Eingeweihten als sensorischer Überflieger auf dem Gebiet der olfaktorischen Wahrnehmung.

Was wir von uns in der Folge nicht behaupten können, weshalb wir später fast froh sind, dass „der Professor“ uns an diesem windigen Vorfrühlingstag nicht in den lichtdurchfluteten, angenehm altmodisch anmutenden Laboratorien empfangen konnte. So blamieren wir uns geruchstechnisch „nur“ bei Schroff, der aus einem Schnapsbrennerdorf im Schwarzwald stammt. „Hier, riechen Sie mal“, eine smaragdgrün funkelnde Karaffe mit einer durchsichtigen Flüssigkeit schwingt vor den Augen, „was ist das?“ Die Nase schnuppert, die Nüstern zittern, die Augen glotzen, riecht irgendwie herb. „Augen zu!“, befiehlt Schroff, „Sehen lenkt total ab vom Riechen!“ Also, Glupscher schließen, noch mal schnüffeln, „ähm, kenn ich irgendwie den Geruch.“

Andächtig wird mit der Heidi-Reliquie auf der Zunge dem wirklich sehr bitteren Abgang nachgespürt

Schnüffeln wie ein Hund

Es ist weißer Pfeffer, ein kostbares Destillat davon, und schon sind wir mittendrin in einem Lieblingsthema von Schroff: dem Niedergang des Geruchssinns in der Gesellschaft. „Wenn wir bei unseren Führungen ältere Kinder testen, dann erriechen die bis zu 80 Prozent der angebotenen natürlichen Substanzen – Erwachsene im Durchschnitt 5 Prozent.“ Die Sinne der Kinder seien noch nicht blockiert, nicht verstellt von visuellen Eindrücken. „Die schnüffeln wie ein Hund und stecken einfach alles in den Mund.“ Immer wieder komisch auch, dass Erwachsene fast alle künstlichen Aromen im Vergleichscheck erkennen würden: „Die haben kein Problem damit, stechend süßliches Erdbeeraroma zu identifizieren, aber müssen passen beim Duft von echten.“ Mit drei bis vier Wochen bewusstem Sicherriechen der Umwelt und ihrer Inhaltsstoffe lässt sich, so Schroff, diese sinnliche Wahrnehmung fast komplett reaktivieren.

Wir schnuppern derweil an einem Mazerat von Ingwer, einem Kaltwasserauszug der Pflanze. Heißauszüge mithilfe von Alkohol heißen Destillate. Bei der Weiterverarbeitung mit Alkohol wird je nach Produkt Mazerat oder Destillat oder beides verwendet. Wir schnuppern mal wieder ohne Erfolg. Zum Trost offeriert Schroff einen Likör auf Rosenbasis, noch nicht mal die wird sofort errochen und erschmeckt, aber immerhin trifft die abgegebene Beschreibung zu, dass hier die Mundhöhle völlig ausgefüllt sei vom Geschmack. Der Profi nickt ab, „das schaffen nur komplett natürliche Rohstoffe.“ Endlich ein persönlicher Lichtblick beim olfaktorischen Selbstversuch! Stilles innerliches Zuprosten, dann gibt es noch einen Schluck Rosenlikör.

■ Die Preussische Spirituosen Manufaktur produziert in Handarbeit und vor Ort milden „Adler-Berlin-Wodka“ mit einer ausgewogenen Fruchtnote, glasklar mundenden Gin, diverse Liköre, Kräuter und Bitter, und ist von Montag bis Freitag 9 bis 19 Uhr geöffnet. Dann kann das Zeugs in homöopathischen Dosen verkostet und in Mengen gekauft werden. Individuelle Führungen nach Vereinbarung. Seestraße 13, 13353 Berlin, Tel.: 45 02 85 37, www.psmberlin.de