: Ab in die Kitschschublade
Doppelhochzeit, Liebesschwüre, Familienversöhnung: Das Udo-Jürgens-Musical lässt nichts unversucht, um die Tränendrüse zu quälen. Schade eigentlich, denn so waren die Songs nicht gedacht. Am besten würde Jürgens sein eigenes Erfolgsrezept beherzigen: Ein Mann und sein Klavier. Basta
VON JESSICA RICCÒ
Vater und Sohn an Deck eines Kreuzfahrtschiffes. Der Liebesentzug der letzten Jahrzehnte wird diskutiert, letztendlich gibt Papa sich doch einen Ruck. „Ich hab dich lieb, mein Junge. Immer schon.“ Die beiden umarmen sich, endlich! Und dann kommt auch noch der Enkel zum Gruppenknuddeln. Noch nicht kitschig genug? Gut, eine Stunde später kommt es zur Doppelhochzeit. Vor der Freiheitsstatue. Im Sonnenuntergang.
Das Ende von „Ich war noch niemals in New York“ kennen Sie nun bereits, aber absehbar ist es auch schon fünf Minuten nach Beginn der Vorstellung. Karrierefrau schiebt Mutter ins Altersheim ab, Oma verliebt sich dort und brennt mit ihrer neuen Flamme auf ein Kreuzfahrtschiff durch. Dort treffen Tochter, Oma, der neue Opa und dessen Sohn aufeinander und die Liebe nimmt ihren Lauf.
Wäre die Handlung nicht, dann wäre das Udo-Jürgens-Musical gar nicht so schlimm. Die Musiker sind große Klasse, die Sänger sowieso und was die Songs betrifft, hat Udo Jürgens dem deutschen Sprachraum eine großes Arsenal an Ohrwürmern beschert. Die vielleicht nicht von allen, aber doch einigen Altersklassen gehört werden, am schmalen Grat zwischen Schlager und Deutschpop: Zu abwechslungsreich, um durchgängig in die Kitschschublade zu gehören, zu liebesleidend, um cool zu sein.
Für „Ich war noch niemals in New York“ strich Autor Gabriel Barylli jedoch jeden Hauch vonIronie oder Sozialkritik aus Udo Jürgens Lebenswerk: „Griechischer Wein“ hat nichts mehr mit Migrantenheimweh zu tun, sondern verkommt zum Tuntenschunk zwischen dem schwulen Sidekick-Pärchen, das nun wirklich kein Klischee auslässt. Mit „Vielen Dank für die Blumen“ wird auch niemand wie im Original herauskomplimentiert. Stattdessen wird die toughe Karrierefrau weich, als ein kleines Mädchen ihr Blümchen schenkt.
Kerstin Marie Mäkelburg, die in Hamburg auch schon für Dirty Dancing und Mamma Mia!, den Vorläufer des Udo-Musicals, unterwegs war, mimt die Hauptrolle glatt und perfekt, auch Gegenpart Jerry Marwig erfüllt alles, was man an Gesang und Tanz fordern kann – dem schauspielerischen Teil wird im seichten Verlauf der Handlung schlichtweg kein Raum gelassen. Zu absehbar, zu schnulzig ist das Drehbuch.
Auch wenn Musicals etwas für‘s Herz bieten sollen: Gabriel Barylli hat übertrieben. Nach drei Stunden „Ich war noch niemals im New York“ möchte man sich am liebsten sofort scheiden lassen, ein paar tausend Stahlarbeiter feuern und ein paar politisch verfolgte Aidswaisen steinigen – zum Ausgleich für so viel Liebe und Versöhnung.
Udo Jürgens, der mit seinen 73 Jahren wohl eher in die Zielgruppe des Musicals passt, scheint die Sinnbefreiung seiner Hits noch nicht aufgefallen zu sein. „Meine Lieder nun im Musical zu hören, ist einfach wunderbar!“ lässt der Meister, Mentor, Gott mitteilen. Und mit ihm freut sich das handverlesene Publikum der Premiere, die Gästeliste liest sich wie der innere Reichsparteitag eines jeden PR-Beraters.
„Total lustig und unterhaltsam,“ fand es Yvonne Catterfeld, „super, viel besser als Mamma Mia,“ stimmt Olivia Jones zu. „Schön bunt, gerade im Winter,“ lautet der etwas wirre Kommentar Thomas Herrmanns und Tanja Szewczenko findet in der langgezogenen Folge des Traumschiffs sogar noch wahre Tiefe: „Ich finde, das Stück trifft den Zeitgeist, viele Zuschauer trauen sich ja nicht ins Musical, aber hier kann man ja mitsingen.“ Ach so.
Einzig die lütte Lena Gercke, Germany‘s last topmodel, scherte sich nicht um die Horden von Presse, die auf einen Kommentar lechzte. Kaum aus dem Theater spielte sie mit ihrem Handy Wünschelrute auf der Suche nach Empfang. „Ah, hi, endlich. Wo bist du?“ „...“ „Noch im Taxi? Gut, dann fahr mal direkt zum Vier Jahreszeiten.“ „...“ „Nee, war scheiße. Ich komm auch gleich. Tschüssi!“
Für den Rest der geladenen Gäste heißt es ab in den Bus und von dort zur Premierenfeier. Dort ist sich die PR-Entourage des Musicals uneinig, wer an Presse überhaupt noch präsent sein darf, immerhin ist hier die einzige Chance, den Komponisten mal im Einzelgespräch nach seiner Meinung zu befragen. Im Grunde ist es eine geschlossene Gesellschaft für Gäste und Privatfernsehen. Nach zehn Minuten Diskussion mit den Türstehern („Sie haben keinen roten Punkt auf Ihrem Ausweis. Sie kommen nur mit rotem Punkt rein. Tut mir Leid, Ihnen fehlt der Punkt.“) und einer anschließenden Fälschung des Presseausweises mittels Lippenstift („Guten Abend, viel Spaß“) lässt Herr Jürgens leider verlauten, dass ihm heute nicht mehr nach Statements sei.
Dabei brennt doch die Frage: Wozu wurde überhaupt eine banale Handlung geschrieben, wenn Udos eigenes Leben doch viel spannender ist? Gerade das Publikum unter 70 Jahren hätte damit auch mehr anfangen können: Jungspund gewinnt Grand Prix mit Schnulze, nutzt Popularität um so etwas wie der Franz Josef Degenhardt des kleinen Mannes zu werden. Übermut übermannt ihn, Jungspund betrügt Gattin am laufenden Band und erfährt am Lebensabend doch noch Läuterung, nachdem sie ihn für blöden Rechtspopulisten verlässt („Merci Cherie, sei nicht traurig, muss ich auch von dir gehen!“).
So bleibt für Fans nur zu hoffen, dass Jürgens das ein oder andere Konzert einfach selbst gibt. Dann braucht es weder 170 Perücken und 530 Kostüme, noch das schwerste Bühnenbild Deutschlands (20 Tonnen für die Flitterwochensuite), sondern Jürgens‘ Rezept seit 40 Jahren: Einen Mann und sein Klavier.
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