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ausgehen und rumstehenAuch mal schön: anderen beim Lallen nur zuzugucken – stimmlos und glücklich im Prenzlberg

Um ein Haar wäre ich Freitag schön zu Hause geblieben, um mir den Abschiedskampf von Regina Halmich anzugucken. Aber nachdem ich die Kampfmaus am Nachmittag in einem ZDF-Werbespot gesehen hatte, war ich enttäuscht: Sie hat tatsächlich den hübschesten aller Gags verschenkt und offenbarte bei „Mit dem Zweiten … sieht man besser“ kein zugeschwollenes Auge. Das nenne ich das Gegenteil von Schneid.

Zur Strafe verzichtete ich auf den Catfight, schraubte mir eine Bionade-Holunder mit Wodka rein – die einzige Art, dieses überbewertete blöde Trendgetränk überhaupt runterzukriegen – und hüpfte los, Richtung Osten, um mir Nitro 17 im White Trash anzugucken, denn wochenends ist es dort zwar einerseits furchtbar, aber andererseits auch toll urban. Überall aufgeregte Touristengruppen, kichernde Schwedinnen, die mit Fünf-Promille-Briten flirten, dicke Rockabellas, ausgemergelte Tattootypen, dazu eine Schweizer One-Man-Band mit Megafon, ist halt ein kleines Land, da chats nicht gar so viele Musiker, oder.

Vor dem Topact legte DJ Bomber Harris schicke Sachen auf, zum Beispiel das allerbeste Stück von den Lyres: „I really want you right now“, und wenn er mit seiner 7“-Vinylsammlung bezwecken will, dass Leute neidisch werden, dann hat er das geschafft. Als Nitro 17 anfingen, war mit einem Schlag meine Stimme weg, was an sich nicht so schlimm ist, wollte ja nicht mitsingen, aber das Bestellen wurde schwierig, und so hüpfte ich aus dem White Trash raus, tiefer in den Prenzlberg hinein, und traf mich in der Luxus Bar mit ein paar Leuten, denen ich den Rest des Abends kleine bekritzelte Zettelchen vorlegen konnte. „Bringst du mir noch einen Wodka-Cranberry mit?“, „Ich muss mal“, „Sie haben eine umwerfende Ausstrahlung, sind Sie Model?“ etc.

Nicht, dass dieser Abend jetzt zu den bemerkenswertesten aller Zeiten in meine Ausgehannalen eingehen wird, dafür war er mir doch etwas zu schweigsam, also meinerseits. Aber es ist auch mal schön, anderen beim Lallen nur zuzugucken. Samstag blieb ich trotzdem lieber mit Isla-Moos zu Hause. Sonntag war die Stimme immer noch irgendwo spazieren, ich ignorierte ihre Absenz und ging zu einer Adventsfeier, denn so etwas machen scheinbar heutzutage sogar orthodoxe Atheisten, was mir als ultraorthodoxe Atheistin nur recht sein soll: Wir erobern uns die Feiertage wieder zurück und besinnen uns auf unsere ursprünglichen, heidnischen Bräuche mit Met aus den Schädeln der Besiegten und so weiter.

27 Kilo Dominosteine und ein paar Stunden freundlich, aber stumm lächelndes In-der-Ecke-Stehen später traf ich mich mit einer Freundin im Scotch & Sofa, denn sie musste in Spuckweite ihrer Wohnung bleiben, falls die magenkranken Kinder aufwachten. Und alles, was man sonst so über diese arg touristenmeilige Bar vorurteilte, nehme ich zurück: Zwar saßen in allen Ecken Amis, aber ansonsten war es ganz leise, im Hintergrund lief ein Elvis-Film. Als ich reinkam, sang Elvis gerade eine Ballade in einem Restaurant, einer der Gäste kicherte während des lahmen Vortrags, Elvis haute ihm wutentbrannt seine Klampfe um die Ohren und lief raus, eine hübsche Biene folgte ihm und sagte: „Du hast etwas vergessen!“ „Was denn?“ „Mich!“ – Toll.

Ich trank abwechselnd Kamillentee und Martini-Cocktails und fand alles so richtig angemessen für einen Sonntagabend, den Elvis-Film, die Heiserkeit, die Nüsschen. Die Kinder meiner Freundin blieben ruhig, ich spielte Taxi mit dem komischen M48er, an dem ich neuerdings wohne, weil ich mal wieder der einzige Fahrgast war, denn in 61 geht man mit den Hühnern ins Bett. Und zu Hause las ich noch schnell nach, dass Halmich ihren letzten Kampf gewonnen hat, zwar knapp nach Punkten, aber immerhin. Wenn ich eine Stimme gehabt hätte, ich hätte für sie gejohlt. JENNI ZYLKA

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