SCHMECKT JUT DER KAFFEE
: Glücklicher Mensch

Die Dieffenbachstraße ist nicht so geleckt wie andere Stadtbezirke

In der Dieffenbachstraße sagt eine Frau zu ihrer Freundin, dass es „hier nicht so geleckt“ sei wie in anderen angesagten Stadtbezirken. Stimmt. Zum Beispiel die Post. Seit sie sich in kleinen Ramschläden versteckt, muss ich meine Pakete immer zum Kottbusser Damm schleppen. Dort ist die Post bei McPaper untergeschlüpft. Ich stelle mich hinter einer Schlange an, deren Schwanz bis zur Straße hinausreicht, wo ich Passanten im Weg stehe.

Vor dem Schalter habe ich die Muse, stundenlang pinkfarbene „Miss Modell“-Produkte wie Kämmchen, Beutelchen, Spieglein zu betrachten, alles eben, was eine Miss Modell so braucht, um eine Miss Modell zu werden.

Auf dem Weg zum Arzt komme ich beim türkischen Süpermarket Bolu vorbei, wo es eine Helal Et Pazari gibt. Die Obstauslage nimmt die Hälfte des Bürgersteigs ein. An einem Baum direkt daneben steht ein etwa fünfjähriger Junge und pinkelt. In zweiter Reihe parkt eine fette, schwarze, glänzende Mercedes-Limousine. Die Beifahrertür steht offen. Hinter dem Steuer spricht ein dicker Türke auf Türkisch ins Handy. Auf der Rückbank sitzt eine Frau in einem Pelzmantel mit hochgestelltem Pelzkragen. Der Junge zieht den Reißverschluss hoch und klettert auf den Beifahrersitz.

Beim Arzt sitze ich neben einem alten, unrasierten Mann mit Gehhilfe. Sein Sohn bringt ihm Kaffee: „Hab ick von Kaiser’s jeholt. Die ham auch ’ne Bockwurst. Willste eene?“ Der alte Mann will keine. Aber Kaffee schon. „Schmeckt jut der Kaffee“, sagt er. „Ja“, sagt sein Sohn wieder, „is von Kaiser’s, aber kipp ihn nicht aus.“ Nee, nee, mach dir mal keene Sorgen“, sagt der Alte.

„Schmeckt echt jut, der Kaffee“, sind seine letzten Worte, dann kippt er um. Der Mann. Der Kaffee aber auch. Nach Camus muss man sich diesen Mann als glücklich vorstellen, und ich glaube, er hat recht.

KLAUS BITTERMANN