: Der Pop ruft
Jane Comerford, die Hamburger Grand-Prix-Teilnehmerin, Popakademie-Dozentin und Talentshow-Jurorin, will kommendes Jahr auch ohne ihre Countryband „Texas Lightning“ auftreten. Einen Namen hat sie sich als Trüffelschwein des Musikbetriebs gemacht
Der Pop gebiert schon merkwürdige Zugangskriterien, auch im Fernsehen, besonders dort. Sie gestatten totaler Nichtigkeit (Elton), gespielter Dummheit (Feldbusch) oder kalkulierter Dauerblamage (Pocher) die televisionäre Existenzberechtigung. Ansonsten hilft ein hübscher Akzent. Am besten unveränderlich, lustig radebrechen, gern aus dem angelsächsischen Sprachraum. So wie bei Jane Comerford.
Und es klingt auch wirklich bezaubernd, wenn sie Deutsch spricht – fließend, denn sie lebt seit über 20 Jahren in Hamburg; dennoch voll grammatikalischer Patzer, denn Sprachkorrektur gilt hierzulande als unhöflich; dabei stets gehaltvoll, denn keine Figur des Castingwahns im TV-Entertainment hat mehr zu sagen als die 48-Jährige. Man mag das ProSieben-Produkt „Popstars“ ja für berechenbare Teenageraussaat halten, für einen Viehmarkt dürrer Beinchen in Stöckelstiefeln und wiedergekäuten R’n’B-Quark mit Chartgarantie – Jane Comerfords Gespür für künstlerische Güte gleicht dem Dieter Bohlens für kommerziellen Erfolg.
Schließlich ist sie ein Profi im akademischen Sinne. Seit 1984 lehrt die Australierin im Hamburger Popkurs Gesang und was damit zusammenhängt. Dort trainierte sie Newcomern wie „Wir sind Helden“ oder „Seeed“ den letzten Stimmschliff fürs Showbiz an. Im Studio arbeitet sie als Background-Sängerin fürs Starpanoptikum von den „Wildecker Herzbuben“ über Kid Kreole bis zu Heinz-Rudolf Kunze. Beim Eurovision Song Contest 2006 war der Beitrag ihrer Countryband „Texas Lightning“ wenigstens in Relation zum Rest hörbar und in den Gremien gesendeter Nachwuchswettbewerbe ist sie seit 2003 ein vergleichsweise sachlicher Faktor, seriös, ernsthaft, ohne den selbstdarstellerischen Druck eines Detlef D. Soost oder einer Heidi Klum.
Jetzt versucht es die Wahlhamburgerin als Solistin. Mit Pop, wie sie sagt. Es ist der Ausdruck einer ganzen Existenz. Denn Jane Comerford mag ja Geige spielen, Klavier und Ukulele, Musiktheorie beherrschen, Ballett und Pädagogik, die reine Lehre dozieren, den Mainstream und seine Praxis: am Ende dient sie doch als Seismograph musikalischer Verwertungsketten. Schwer zu glauben also, dass die künftige Popsängerin Jane Comerford deutlich dickere Bretter bohrt als die pausierende Musicalsängerin Jane Comerford oder die aktuelle Fernsehjurorin Jane Comerford. Wo sie drinsteckt, ist Qualität spürbar, aber stets im engen Rahmen der Massentauglichkeit.
Das ist immerhin etwas und mehr als nur ein niedlicher englischer Akzent. Ob es zu mehr reicht, wird sich zeigen. Mit ihrer ersten CD eigener Lieder landete sie vor fast zehn Jahren jedenfalls eher unsanft. Damals war Countryfolk indes völlig unsexy und Jane Comerford bestenfalls eine lokale Größe in Hamburg. Und jetzt? Für die ganz Jungen ist sie zu alt, für die Älteren im Schülerfernsehen verbrannt, für die mittleren Jahrgänge zu bieder mit ihren Rüschenkleidern und Westernstiefeln. Aber im Falle eines Misserfolgs bleiben ja noch Castingshows. Die wird’s noch lange geben. JAN FREITAG
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