Ein Egomane als Agent

Der Publizist Wilhelm Dietl stellte sich jahrelang auch in den Dienst des deutschen Auslandsgeheimdiensts BND. Er hat damit die Anstandsregeln des Journalismus bewusst und freudig überschritten

Vor rund zwei Jahren flog die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst (BND) auf. Wie es dabei im Allgemeinen zuging, ist durch Medienveröffentlichungen mittlerweile bekannt; um die Details soll sich noch ein Untersuchungsausschuss des Bundestages kümmern. Doch so lange wollte Wilhelm Dietl offenkundig nicht warten, denn was viele Fachkollegen bereits seit längerem vermuteten, ist jetzt Gewissheit: Der Publizist und Terrorismusexperte Dietl hat Agentendreck am Stecken.

Daher hat er nun die Flucht nach vorn angetreten und sich für die „mutwillige Enttarnung durch den ehemaligen Dienstherrn“ gerächt. 1982 wurde der damals 27-Jährige, journalistisch auf die Krisengebiete des Nahen Ostens spezialisiert, vom BND als Agent angeworben. Und irgendwie waren sich die Herren schnell einig, zumal das Einsatzgebiet das gleiche bleiben sollte. Auf die Frage „Glauben Sie, dass Sie diese Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen den beiden Berufen und zwischen zwei getrennten Existenzen überhaupt schaffen?“ kam von Dietl ein klares Ja und kurz darauf der Deckname „Dali“ für den frischgebackenen Spion. Und zwar bis 1993, und diese Jahre mag er denn auch „weder leugnen noch missen“.

Irgendwie muss es wohl eine schöne Zeit gewesen sein: Da war ein Mann noch ein Mann und sein Wort eben ein Wort; ein Puff war ein Puff und auch mit den Großkopferten streng muslimischer Länder ließ es sich hinter verschlossenen Türen gelegentlich munter saufen. Alle beim BND waren da noch echte Kumpels und zudem in der Aufklärung richtig erfolgreich. Ergo braucht Wilhelm „Dali“ Dietl in seinem Buch auch nur knappe 30 Seiten, bis ihm über weite Strecken das glückspendende Wir-Gefühl in die Zeilen fließt.

Danach allerdings wird das „Juwel im Quellenbestand“ wirklich böse, denn Agent „Dali“ unterscheidet streng zwischen seinem „geheimen Auslandsnachrichtendienst“ der alten Prägung und der elenden Stümperei des neuen BND, an dem mittlerweile „mehrere Präsidenten und Leitungsstäbe herumexperimentiert“ haben und der sich folglich in „beinahe schon aufdringlicher Öffentlichkeitsarbeit“ präsentiert. Seine Identifikation mit dem alten Laden geht dabei so weit, dass er es bei seiner förmlichen Abschaltung 1993 empört ablehnt, die obligate Schweigeverpflichtung zu unterschreiben, weil so etwas doch ohnehin selbstverständlich sei.

Gegenüber den Stümpern von heute fühlt er sich an das seinerzeitige großsprecherische Wort nicht mehr gebunden und hat nun eben dieses Druckwerk vorgelegt. Fortsetzungen sind bereits angedroht, denn auch nach 1993 hat Dietl gelegentlich Jobs für den BND mal eben so mit erledigt und wurde dabei ironischerweise unter dem neuen Decknamen „Schweiger“ registriert. Davon habe er aber nun gar nichts gewusst, entrüstet sich Dietl. Wie jetzt, über all die Jahre gar nichts gelernt?

Wirklich fundamental Neues über den Bundesnachrichtendienst erfährt man in Dietls Buch eigentlich nicht. Zwischen den Zeilen dafür aber umso mehr über die Person des Autors selbst: Zum einen hat hier ein Egomane geglaubt an der Macht zu nagen und fühlt sich jetzt bitter enttäuscht und grundsätzlich missachtet. Zum Zweiten hat Dietl die moralisch-ethischen Anstandsregeln des Journalismus stets bewusst und freudig überschritten. Und da ergibt es natürlich Sinn, rechtzeitig die eigene Auslegung der affaire amoureuse unters Volk zu bringen – bevor der parlamentarische Untersuchungsausschuss sich zum Journalistenkomplex durchgearbeitet hat. Das Volk wird Dietls Buch zwar kaum lesen, aber Untersuchungsausschuss und BND werden sich zumindest mit einigen Teilen befassen müssen – und werden dafür einige Zeit brauchen … Höchst interessante Operation, Agent Dietl!

OTTO DIEDERICHS

Wilhelm Dietl: „Deckname Dali. Ein BND-Agent packt aus“. 228 Seiten, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007, 19,90 Euro