„Mehr Erfolg als zu Hause“

DEUTSCHER HERBST Vergessen, aber relevant: die Beziehung der RAF zu italienischen Genossen

■ 46, Historikerin und Germanistin, ist Professorin für Europäische Kultur und Zeitgeschichte an der Uni Göttingen.

taz: Frau Terhoeven, wen interessiert der Deutsche Herbst noch?

Petra Terhoeven: In den Medien ist er nach wie vor allgegenwärtig, und die Schlüsselereignisse des Deutschen Herbstes sind ins kollektive Gedächtnis eingegangen, sodass man meinen könnte, es sei alles klar.

Ist es das nicht?

Nein. Wenig reflektiert wurde bisher, dass der deutsche Linksterrorismus und die Ereignisse des Deutschen Herbstes aus einer rein nationalen Perspektive nicht zu erklären sind.

Der Deutsche Herbst ging gar nicht von Deutschland aus?

Die Ereignisse in Deutschland schon, aber insgesamt war der Radikalisierungsprozess der Gruppen, die als Entmischungsprodukt der 1968er-Bewegung in den Untergrund gingen und gewalttätig wurden, ein transnationaler. Die deutschen Terroristen standen in engem Kontakt mit Gesinnungsgenossen im Ausland, besonders in Italien.

Das waren keine Einzelfälle?

Nein. Alle späteren deutschen Terroristen haben zunächst einen Teil ihrer Sozialisation in Italien verbracht. Italien wurde um 1970 eine Art Sehnsuchtsland der Revolution, und diese engen Beziehungen hielten sich auch später. Abgesehen davon war Italien Resonanzboden für Kampagnen einiger Anwälte der RAF.

Inwiefern?

Sie haben nach er Inhaftierung der ersten RAF-Generation auch im Ausland behauptet, in Deutschland würden politische Häftlinge gefoltert, und in manchen Gefängnissen gehe es schlimmer zu als in den KZs der Nazis. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs hatten sie damit oft mehr Erfolg als zu Hause.

Worauf zielte diese Kampagne?

Die Bundesregierung unter Druck zu setzen, indem man die öffentliche Meinung in Nachbarstaaten beeinflusste. Zudem ging es darum, im Ausland Verstecke und logistische Unterstützung zu bekommen.

Warum war gerade Italien so wichtig für die RAF?

Weil die Roten Brigaden der RAF und der „Bewegung 2. Juni“ ideologisch recht nahe standen. Sie verorteten sich ja einerseits – national – in der roten Tradition der antifaschistischen Resistenza. Andererseits sah man sich, wie die RAF, im internationalen Kontext der antikolonialen Befreiungsbewegungen. In Italien führte die Todesnacht von Stammheim zu einer Welle antideutscher Gewalt, um die vermeintlichen Morde zu rächen.INTERVIEW: PS

Vortrag „Deutscher Herbst in Europa“: 20 Uhr, Hamburger Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36