Kein Polizeirecht auf Gehwegen

Hamburgs Polizei will eine bundesweite Demonstration „gegen staatliche Repression“ am nächsten Wochenende nicht in der Innenstadt sehen. Die Veranstalter gehen vor Gericht

„Out of Control“: Visuelle Inszenierung gegen die staatlichen Allmacht

VON KAI VON APPEN

Wenn am kommenden Sonnabend Demonstranten aus dem ganzen Bundesgebiet gegen „staatliche Repression und den kapitalistischen Normalzustand“ protestieren wollen, dann dürfen sie das nicht in der Hamburger Innenstadt tun: Die Polizei hat den Umzug mit einem City-Verbot belegt.

Auf den zuvor gegenüber den Veranstaltern angekündigten Schritt, auch die Fußwege am Rande der Demonstration zum polizeilichen Einsatzraum zu erklären, so dass hier gemäß Polizeirecht in Gewahrsam genommen werden könnte, haben die Ordnungshüter in ihrer schriftlichen Verfügung jedoch verzichtet. „Diese Auflage hat die Polizei offenkundig als juristisch angreifbar angesehen“, sagt Andreas Blechschmidt, der Anmelder des Demonstration. Er gehe aber „davon aus, dass sie faktisch angewendet wird“.

Für den Rechtsanwalt Andreas Beuth geht ein Jahr zu Ende, in dem die „staatliche Repression gegen linken Aktivisten und strukturen“ einen neuen Höhepunkt erreicht habe. „Systemoppositionelles Verhalten“, sagt Beuth, sei mit Hilfe des Strafgesetzbuch-Paragrafen 129a „massiv“ als Terrorismus kriminalisiert worden. Drei 129a-Ermittlungsverfahren gegen G 8- und Rüstungsgegner sind in diesem Jahr bundesweit eingeleitet worden, der Schwerpunkt lag dabei in Hamburg.

Die Verfahren vor dem G 8-Gipfel in Heiligendamm seien „ohne jeglichen Tatverdacht“ eingeleitet worden, sagte Beuth gestern auf der Pressekonferenz der Antirepressionskampagne Hamburg in der Roten Flora, „es gab und gibt es keinerlei Beweise“. Jeder „Anschein der Rechtstaatlichkeit“ sei „ad absurdum geführt worden“.

Nach Blechschmidts Auffassung legt der „Schnüffelstaat“ derzeit jegliche Hemmungen ab. Als Beispiele aus jüngster nannte er gestern Observationen und Telefonüberwachungen, Razzien, Briefkontrollen, Lauschangriffe und Vorratsdatenspeicherung, die Diskussionen um Inlandseinsätze der Bundeswehr und präventive Flugzeugabschüsse sowie, zuletzt, um Online-Überwachung und die Speicherung biometrischer Daten.

Für Beuth hat der jüngste Beschluss des Bundesgerichtshofs, dass Brandstiftungen bei Pkws und Farbschmierereien an Fassaden kein Terrorismus seien, der Bundesanwaltschaft zwar einen schwerer Dämpfer verpasst. Mit diesem „juristischen Teilerfolg gegen den Paragrafen 129a wollen sich die Leute aber nicht zufriedengeben“, sagte er zur Begründung der geplanten Demo.

Eine Demo durch die Innenstadt über den Jungfernstieg und die Mönckebergstraße – so wie angemeldet – will die Polizei am nächsten Wochenende nicht genehmigen. Zugelassen werden soll nur ein Marsch mit erwarteten 5.000 Teilnehmern über die frühere Ost-West-Straße, den Wallring und die Lombardsbrücke. Dabei will Blechschmidt in den vorangegangenen Kooperationsgesprächen durchaus die Bereitschaft zu einer Einigung gezeigt haben: Akzeptiert hätte er auch eine Ausweichroute über Gänsemarkt und Steinstraße – „ein schmerzlicher Kompromiss“, sagte er gestern. Doch die Polizei habe nicht kooperiert, wie es das Bundesverfassungsgericht vorschreibt, „sondern diktiert“, so Blechschmidt. Eine Route „um die Innenstadt herum“ aber will er nicht akzeptieren. Er habe kein Interesse daran, „im Wanderkessel, dreifachen Polizeispalier ohne Öffentlichkeit auf öden Pisten zu laufen“, sagte Blechschmidt.

Probleme hat die Polizei offenbar insbesondere mit der neuen Demonstrationsform „Out of Control“, die von einigen Gruppen angekündigt worden ist. Dabei handelt es sich um eine Art Gegeninszenierung, „durch die der Sicherheitsstaat durch Kunst, Politik und Kultur einem Elchtest unterzogen“ werden soll, wie ein Aktivist erklärte. Mit dem „Mittel der Zerstreuung“ soll das polizeiliche Konzept der Wanderkessel in der „Weite des Raumes“ durchkreuzt und mit einer „visuellen Inszenierung die staatlichen Allmacht“ karikiert werden.

Für die Demo-Veranstalter kündigte Rechtsanwalt Marc Meyer an, heute gegen das polizeiliche City-Verbot juristisch vorzugehen. „Die Gefahrenprognosen rechtfertigen die Auflagen nicht“, sagte Meyer. „Ich bin mir sicher, dass das Verwaltungsgericht unsere Vorgeschlagene Route genehmigen wird.“ Notfalls gehe er auch bis vors Bundesverfassungsgericht.

Indes kündigten das Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Republikanische Anwaltsverein sowie der Staatsrechtler Norman Paech an, die Demonstration zu beobachten und eventuelle Polizei-Übergriffe zu dokumentieren.